Crustuminischen Feldmark 64). Die Consuln kehrten mit den Patriciern, verlassen aber ungekränkt, nach Rom zurück.
Innere Widersprüche und Unmöglichkeiten verra- then das Mährchenhafte vieler Begebenheiten in der äl- testen römischen Geschichte; von diesen ist der erste Volksaufstand frey, wie ihn Livius umständlich, und noch weit ausführlicher Dionysius erzählt; denn man kann es nicht einmahl ganz unmöglich nennen daß sich ein Andenken der verschiedenen Meinungen, welche den Senat theilten, und ihrer Urheber, erhalten hätte; wenn gleich zuverlässig nicht in den Annalen. Genügte also der Geschichte, wie dem Roman, dieser innere Zusammen- hang, so würden wir glauben im Besitz historischer Nach- richten zu seyn: aber daß er für diese Zeiten nicht genügt, sondern nur einen verständigen Sinn bey dem Annalisten beweist welcher die jetzt geltende Erzählung ausbildete, erhellt aus dem unvereinbaren Widerspruch andrer Sa- gen, von denen sich einige Ueberreste erhalten haben. Nach diesen ist es nicht zu bezweifeln, daß nur der Auf- stand, und der Vertrag wodurch die tribunicische Gewalt errichtet ward, für historisch gelten können: und gänzlich abweichende Erzählungen über die Begebenheiten, welche zu dieser Entscheidung führten, für die Nachwelt ununter- scheidbare Ansprüche auf Glauben hatten. Cicero, der
64) Daher diese Auswandrung auch die Crustumerinische ge- nannt wird. Varro de L. L. IV. c. 14. Der heilige Berg trug damals noch nicht diesen Nahmen, sondern empfing ihn, weil er vom Volk, als es sein Lager verließ, Jupiter geweiht ward. Festus s. v. Sacer mons.
Cruſtuminiſchen Feldmark 64). Die Conſuln kehrten mit den Patriciern, verlaſſen aber ungekraͤnkt, nach Rom zuruͤck.
Innere Widerſpruͤche und Unmoͤglichkeiten verra- then das Maͤhrchenhafte vieler Begebenheiten in der aͤl- teſten roͤmiſchen Geſchichte; von dieſen iſt der erſte Volksaufſtand frey, wie ihn Livius umſtaͤndlich, und noch weit ausfuͤhrlicher Dionyſius erzaͤhlt; denn man kann es nicht einmahl ganz unmoͤglich nennen daß ſich ein Andenken der verſchiedenen Meinungen, welche den Senat theilten, und ihrer Urheber, erhalten haͤtte; wenn gleich zuverlaͤſſig nicht in den Annalen. Genuͤgte alſo der Geſchichte, wie dem Roman, dieſer innere Zuſammen- hang, ſo wuͤrden wir glauben im Beſitz hiſtoriſcher Nach- richten zu ſeyn: aber daß er fuͤr dieſe Zeiten nicht genuͤgt, ſondern nur einen verſtaͤndigen Sinn bey dem Annaliſten beweiſt welcher die jetzt geltende Erzaͤhlung ausbildete, erhellt aus dem unvereinbaren Widerſpruch andrer Sa- gen, von denen ſich einige Ueberreſte erhalten haben. Nach dieſen iſt es nicht zu bezweifeln, daß nur der Auf- ſtand, und der Vertrag wodurch die tribuniciſche Gewalt errichtet ward, fuͤr hiſtoriſch gelten koͤnnen: und gaͤnzlich abweichende Erzaͤhlungen uͤber die Begebenheiten, welche zu dieſer Entſcheidung fuͤhrten, fuͤr die Nachwelt ununter- ſcheidbare Anſpruͤche auf Glauben hatten. Cicero, der
64) Daher dieſe Auswandrung auch die Cruſtumeriniſche ge- nannt wird. Varro de L. L. IV. c. 14. Der heilige Berg trug damals noch nicht dieſen Nahmen, ſondern empfing ihn, weil er vom Volk, als es ſein Lager verließ, Jupiter geweiht ward. Feſtus s. v. Sacer mons.
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Cruſtuminiſchen Feldmark 64). Die Conſuln kehrten
mit den Patriciern, verlaſſen aber ungekraͤnkt, nach
Rom zuruͤck.
Innere Widerſpruͤche und Unmoͤglichkeiten verra-
then das Maͤhrchenhafte vieler Begebenheiten in der aͤl-
teſten roͤmiſchen Geſchichte; von dieſen iſt der erſte
Volksaufſtand frey, wie ihn Livius umſtaͤndlich, und
noch weit ausfuͤhrlicher Dionyſius erzaͤhlt; denn man
kann es nicht einmahl ganz unmoͤglich nennen daß ſich
ein Andenken der verſchiedenen Meinungen, welche den
Senat theilten, und ihrer Urheber, erhalten haͤtte; wenn
gleich zuverlaͤſſig nicht in den Annalen. Genuͤgte alſo der
Geſchichte, wie dem Roman, dieſer innere Zuſammen-
hang, ſo wuͤrden wir glauben im Beſitz hiſtoriſcher Nach-
richten zu ſeyn: aber daß er fuͤr dieſe Zeiten nicht genuͤgt,
ſondern nur einen verſtaͤndigen Sinn bey dem Annaliſten
beweiſt welcher die jetzt geltende Erzaͤhlung ausbildete,
erhellt aus dem unvereinbaren Widerſpruch andrer Sa-
gen, von denen ſich einige Ueberreſte erhalten haben.
Nach dieſen iſt es nicht zu bezweifeln, daß nur der Auf-
ſtand, und der Vertrag wodurch die tribuniciſche Gewalt
errichtet ward, fuͤr hiſtoriſch gelten koͤnnen: und gaͤnzlich
abweichende Erzaͤhlungen uͤber die Begebenheiten, welche
zu dieſer Entſcheidung fuͤhrten, fuͤr die Nachwelt ununter-
ſcheidbare Anſpruͤche auf Glauben hatten. Cicero, der
64) Daher dieſe Auswandrung auch die Cruſtumeriniſche ge-
nannt wird. Varro de L. L. IV. c. 14. Der heilige Berg
trug damals noch nicht dieſen Nahmen, ſondern empfing
ihn, weil er vom Volk, als es ſein Lager verließ, Jupiter
geweiht ward. Feſtus s. v. Sacer mons.
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/432>, abgerufen am 24.11.2024.
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