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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Befreyung der Schuldknechte welche zu seinen Fahnen
geschworen hatten: dies ward verweigert. Er legte seine
Würde nieder: eine größere Treue hätte ihn über die
Gränze strenger Gewissenhaftigkeit geführt, und die Zeit
war gekommen wo es nicht mehr der Aufopferung der
Gefühle eines einzelnen Mannes bedurfte damit voll-
bracht werde was sich unaufhaltsam vorbereitete. Auch
das Volk empfand dieses, und begleitete ihn, dankbar
als ob er sein Wort erfüllt hätte, vom Forum nach sei-
nem Hause.

Inzwischen hatte der Senat die Truppen unter dem
Vorwand neuer Feindseligkeiten außerhalb der Stadt
gehalten, und die Consuln welche zweyen der Heere vor-
gestanden hatten, übernahmen jetzt nach der Entsagung
des Dictators aufs neue den Oberbefehl. Aber seine
stille Handlung hatte dem Volk nur zu viel gesagt. Es
scheint daß die Armee ihr Gewissen dadurch erleichtert
fühlte daß der Fahneneid dem Dictator und nicht den
Consuln geleistet war 63). Einmüthig brach das Heer
auf, unter dem Befehl eines Tribuns Sicinius, ging
über den Anio, und nahm ein verschanztes Lager auf
dem heiligen Berge, drey Millien von Rom, in der

63) Livius erzählt im Gegentheil der Eid sey an die Con-
suln geschworen gewesen, wiewohl der Dictater die Trup-
pen ausgehoben hatte. Das aber ist undenkbar, da die
Dictatur die höchste Gewalt war. Es scheint daß sich eine
Sage erhalten hatte daß die Förmlichkeit des Eides bey dem
Aufstand der Armee erwogen ward; und die dunkle Mel-
dung, wie gewöhnlich, in das entgegengesetzte ihres ur-
sprünglichen Sinns umgebildet worden ist.

Befreyung der Schuldknechte welche zu ſeinen Fahnen
geſchworen hatten: dies ward verweigert. Er legte ſeine
Wuͤrde nieder: eine groͤßere Treue haͤtte ihn uͤber die
Graͤnze ſtrenger Gewiſſenhaftigkeit gefuͤhrt, und die Zeit
war gekommen wo es nicht mehr der Aufopferung der
Gefuͤhle eines einzelnen Mannes bedurfte damit voll-
bracht werde was ſich unaufhaltſam vorbereitete. Auch
das Volk empfand dieſes, und begleitete ihn, dankbar
als ob er ſein Wort erfuͤllt haͤtte, vom Forum nach ſei-
nem Hauſe.

Inzwiſchen hatte der Senat die Truppen unter dem
Vorwand neuer Feindſeligkeiten außerhalb der Stadt
gehalten, und die Conſuln welche zweyen der Heere vor-
geſtanden hatten, uͤbernahmen jetzt nach der Entſagung
des Dictators aufs neue den Oberbefehl. Aber ſeine
ſtille Handlung hatte dem Volk nur zu viel geſagt. Es
ſcheint daß die Armee ihr Gewiſſen dadurch erleichtert
fuͤhlte daß der Fahneneid dem Dictator und nicht den
Conſuln geleiſtet war 63). Einmuͤthig brach das Heer
auf, unter dem Befehl eines Tribuns Sicinius, ging
uͤber den Anio, und nahm ein verſchanztes Lager auf
dem heiligen Berge, drey Millien von Rom, in der

63) Livius erzaͤhlt im Gegentheil der Eid ſey an die Con-
ſuln geſchworen geweſen, wiewohl der Dictater die Trup-
pen ausgehoben hatte. Das aber iſt undenkbar, da die
Dictatur die hoͤchſte Gewalt war. Es ſcheint daß ſich eine
Sage erhalten hatte daß die Foͤrmlichkeit des Eides bey dem
Aufſtand der Armee erwogen ward; und die dunkle Mel-
dung, wie gewoͤhnlich, in das entgegengeſetzte ihres ur-
ſpruͤnglichen Sinns umgebildet worden iſt.
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[409/0431] Befreyung der Schuldknechte welche zu ſeinen Fahnen geſchworen hatten: dies ward verweigert. Er legte ſeine Wuͤrde nieder: eine groͤßere Treue haͤtte ihn uͤber die Graͤnze ſtrenger Gewiſſenhaftigkeit gefuͤhrt, und die Zeit war gekommen wo es nicht mehr der Aufopferung der Gefuͤhle eines einzelnen Mannes bedurfte damit voll- bracht werde was ſich unaufhaltſam vorbereitete. Auch das Volk empfand dieſes, und begleitete ihn, dankbar als ob er ſein Wort erfuͤllt haͤtte, vom Forum nach ſei- nem Hauſe. Inzwiſchen hatte der Senat die Truppen unter dem Vorwand neuer Feindſeligkeiten außerhalb der Stadt gehalten, und die Conſuln welche zweyen der Heere vor- geſtanden hatten, uͤbernahmen jetzt nach der Entſagung des Dictators aufs neue den Oberbefehl. Aber ſeine ſtille Handlung hatte dem Volk nur zu viel geſagt. Es ſcheint daß die Armee ihr Gewiſſen dadurch erleichtert fuͤhlte daß der Fahneneid dem Dictator und nicht den Conſuln geleiſtet war 63). Einmuͤthig brach das Heer auf, unter dem Befehl eines Tribuns Sicinius, ging uͤber den Anio, und nahm ein verſchanztes Lager auf dem heiligen Berge, drey Millien von Rom, in der 63) Livius erzaͤhlt im Gegentheil der Eid ſey an die Con- ſuln geſchworen geweſen, wiewohl der Dictater die Trup- pen ausgehoben hatte. Das aber iſt undenkbar, da die Dictatur die hoͤchſte Gewalt war. Es ſcheint daß ſich eine Sage erhalten hatte daß die Foͤrmlichkeit des Eides bey dem Aufſtand der Armee erwogen ward; und die dunkle Mel- dung, wie gewoͤhnlich, in das entgegengeſetzte ihres ur- ſpruͤnglichen Sinns umgebildet worden iſt.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/431>, abgerufen am 24.11.2024.