Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

ten dritten Stande, wenn man jener auch damit einräu-
men will daß sie, weit entfernt aus rohem Volke bestanden
zu haben, eben wie der unsrige, seitdem die Städte sich
gebildet haben, ungeachtet aller Erschwerungen geflissent-
licher Zurücksetzung wenigstens keine kleinere Zahl fähiger
und zuverlässiger Bürger enthalten habe als der herr-
schende Stand. Richtiger wäre eine Vergleichung mit
den abhängigen Landschaften neuerer Republiken, wie mit
den Waadtländischen Unterthanen des Standes Bern, wo
der alte burgundische Adel mit den Städtern und dem
Landmann gegen den Souverain auf Einer Linie stand.
Oder man vergleiche ihre Ritterfamilien mit dem Landadel
Englands und Schottlands, der nicht mehr als Adel be-
trachtet wird, wenn er gleich ursprünglich dem Stande
nach den vornehmsten Baronen gleich war, und jetzt nach
dem natürlichen Gang ungestörter Veränderungen Tau-
sende andrer Familien als Gleiche neben sich sieht welche
sich von unadlichem Stande erhoben haben: und man be-
urtheile die Gerechtigkeit ihrer Ansprüche nach denen der
irländischen Katholiken, welche, hoher Adel, Mittelstand
und Volk, unter heuchlerischem religiösen Vorwand in
gleicher Erniedrigung gehalten werden, und um gerechte
Gleichheit mit derselben Ausdauer ringen wie die römi-
schen Plebejer, und, wie sie, gewiß seyn können früher
oder später ihr Recht zu erlangen.

Darin aber war das römische Volk von ihnen, wie
von den Waadtländern und andern abhängigen Nationen
unterschieden, daß gerade die Klasse welche man ungünstig
als Volk bezeichnet, eben der rohe, oder durch seine Ge-

ten dritten Stande, wenn man jener auch damit einraͤu-
men will daß ſie, weit entfernt aus rohem Volke beſtanden
zu haben, eben wie der unſrige, ſeitdem die Staͤdte ſich
gebildet haben, ungeachtet aller Erſchwerungen gefliſſent-
licher Zuruͤckſetzung wenigſtens keine kleinere Zahl faͤhiger
und zuverlaͤſſiger Buͤrger enthalten habe als der herr-
ſchende Stand. Richtiger waͤre eine Vergleichung mit
den abhaͤngigen Landſchaften neuerer Republiken, wie mit
den Waadtlaͤndiſchen Unterthanen des Standes Bern, wo
der alte burgundiſche Adel mit den Staͤdtern und dem
Landmann gegen den Souverain auf Einer Linie ſtand.
Oder man vergleiche ihre Ritterfamilien mit dem Landadel
Englands und Schottlands, der nicht mehr als Adel be-
trachtet wird, wenn er gleich urſpruͤnglich dem Stande
nach den vornehmſten Baronen gleich war, und jetzt nach
dem natuͤrlichen Gang ungeſtoͤrter Veraͤnderungen Tau-
ſende andrer Familien als Gleiche neben ſich ſieht welche
ſich von unadlichem Stande erhoben haben: und man be-
urtheile die Gerechtigkeit ihrer Anſpruͤche nach denen der
irlaͤndiſchen Katholiken, welche, hoher Adel, Mittelſtand
und Volk, unter heuchleriſchem religioͤſen Vorwand in
gleicher Erniedrigung gehalten werden, und um gerechte
Gleichheit mit derſelben Ausdauer ringen wie die roͤmi-
ſchen Plebejer, und, wie ſie, gewiß ſeyn koͤnnen fruͤher
oder ſpaͤter ihr Recht zu erlangen.

Darin aber war das roͤmiſche Volk von ihnen, wie
von den Waadtlaͤndern und andern abhaͤngigen Nationen
unterſchieden, daß gerade die Klaſſe welche man unguͤnſtig
als Volk bezeichnet, eben der rohe, oder durch ſeine Ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0399" n="377"/>
ten dritten Stande, wenn man jener auch damit einra&#x0364;u-<lb/>
men will daß &#x017F;ie, weit entfernt aus rohem Volke be&#x017F;tanden<lb/>
zu haben, eben wie der un&#x017F;rige, &#x017F;eitdem die Sta&#x0364;dte &#x017F;ich<lb/>
gebildet haben, ungeachtet aller Er&#x017F;chwerungen gefli&#x017F;&#x017F;ent-<lb/>
licher Zuru&#x0364;ck&#x017F;etzung wenig&#x017F;tens keine kleinere Zahl fa&#x0364;higer<lb/>
und zuverla&#x0364;&#x017F;&#x017F;iger Bu&#x0364;rger enthalten habe als der herr-<lb/>
&#x017F;chende Stand. Richtiger wa&#x0364;re eine Vergleichung mit<lb/>
den abha&#x0364;ngigen Land&#x017F;chaften neuerer Republiken, wie mit<lb/>
den Waadtla&#x0364;ndi&#x017F;chen Unterthanen des Standes Bern, wo<lb/>
der alte burgundi&#x017F;che Adel mit den Sta&#x0364;dtern und dem<lb/>
Landmann gegen den Souverain auf Einer Linie &#x017F;tand.<lb/>
Oder man vergleiche ihre Ritterfamilien mit dem Landadel<lb/>
Englands und Schottlands, der nicht mehr als Adel be-<lb/>
trachtet wird, wenn er gleich ur&#x017F;pru&#x0364;nglich dem Stande<lb/>
nach den vornehm&#x017F;ten Baronen gleich war, und jetzt nach<lb/>
dem natu&#x0364;rlichen Gang unge&#x017F;to&#x0364;rter Vera&#x0364;nderungen Tau-<lb/>
&#x017F;ende andrer Familien als Gleiche neben &#x017F;ich &#x017F;ieht welche<lb/>
&#x017F;ich von unadlichem Stande erhoben haben: und man be-<lb/>
urtheile die Gerechtigkeit ihrer An&#x017F;pru&#x0364;che nach denen der<lb/>
irla&#x0364;ndi&#x017F;chen Katholiken, welche, hoher Adel, Mittel&#x017F;tand<lb/>
und Volk, unter heuchleri&#x017F;chem religio&#x0364;&#x017F;en Vorwand in<lb/>
gleicher Erniedrigung gehalten werden, und um gerechte<lb/>
Gleichheit mit der&#x017F;elben Ausdauer ringen wie die ro&#x0364;mi-<lb/>
&#x017F;chen Plebejer, und, wie &#x017F;ie, gewiß &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen fru&#x0364;her<lb/>
oder &#x017F;pa&#x0364;ter ihr Recht zu erlangen.</p><lb/>
          <p>Darin aber war das ro&#x0364;mi&#x017F;che Volk von ihnen, wie<lb/>
von den Waadtla&#x0364;ndern und andern abha&#x0364;ngigen Nationen<lb/>
unter&#x017F;chieden, daß gerade die Kla&#x017F;&#x017F;e welche man ungu&#x0364;n&#x017F;tig<lb/>
als Volk bezeichnet, eben der rohe, oder durch &#x017F;eine Ge-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[377/0399] ten dritten Stande, wenn man jener auch damit einraͤu- men will daß ſie, weit entfernt aus rohem Volke beſtanden zu haben, eben wie der unſrige, ſeitdem die Staͤdte ſich gebildet haben, ungeachtet aller Erſchwerungen gefliſſent- licher Zuruͤckſetzung wenigſtens keine kleinere Zahl faͤhiger und zuverlaͤſſiger Buͤrger enthalten habe als der herr- ſchende Stand. Richtiger waͤre eine Vergleichung mit den abhaͤngigen Landſchaften neuerer Republiken, wie mit den Waadtlaͤndiſchen Unterthanen des Standes Bern, wo der alte burgundiſche Adel mit den Staͤdtern und dem Landmann gegen den Souverain auf Einer Linie ſtand. Oder man vergleiche ihre Ritterfamilien mit dem Landadel Englands und Schottlands, der nicht mehr als Adel be- trachtet wird, wenn er gleich urſpruͤnglich dem Stande nach den vornehmſten Baronen gleich war, und jetzt nach dem natuͤrlichen Gang ungeſtoͤrter Veraͤnderungen Tau- ſende andrer Familien als Gleiche neben ſich ſieht welche ſich von unadlichem Stande erhoben haben: und man be- urtheile die Gerechtigkeit ihrer Anſpruͤche nach denen der irlaͤndiſchen Katholiken, welche, hoher Adel, Mittelſtand und Volk, unter heuchleriſchem religioͤſen Vorwand in gleicher Erniedrigung gehalten werden, und um gerechte Gleichheit mit derſelben Ausdauer ringen wie die roͤmi- ſchen Plebejer, und, wie ſie, gewiß ſeyn koͤnnen fruͤher oder ſpaͤter ihr Recht zu erlangen. Darin aber war das roͤmiſche Volk von ihnen, wie von den Waadtlaͤndern und andern abhaͤngigen Nationen unterſchieden, daß gerade die Klaſſe welche man unguͤnſtig als Volk bezeichnet, eben der rohe, oder durch ſeine Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/399
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/399>, abgerufen am 22.11.2024.