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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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schen, und Cato 82) nannte einen Dictator des Latini-
schen Bunds Egerius Lesbius. Wollen wir uns erlauben
eine Erklärung zu versuchen, so erinnert er an die Göttin
Egeria, die von den schwangern Frauen verehrt ward;
und er mochte sich, in dem Sinn eines Leichtgebohrnen,
eben so auf die Umstände der Geburt beziehen wie die eben-
falls veralteten Agrippa und Vopiscus. Es scheint, wie
wenig sich auch Collatinus Abstammung historisch bestim-
men läßt, daß er der königlichen Familie sehr nahe ver-
wandt war: so nahe daß dies die uns so hart scheinende
Verbannung entschuldigen möchte.

Eine Freyheit des Umgangs wie sie die Frauen des
Abendlands genießen, war den Römerinnen durch Unter-
thänigkeit gegen Vater und Mann, durch stille strenge
Zucht, durch Hausfleiß und unverbrüchliche Gesetze der
strengsten Nüchternheit erworben, wie ihren Männern die
Bürgerfreyheit durch gleich unbedingten Gehorsam unter
eisernen Gesetzen. Die Griechinnen trugen kein Joch der
Sitte und des Gehorsams, daher war allgemeiner Zwang
und Einklosterung nothwendig: die Ausnahmen sind sehr
selten wo ein Weib außer auf dem Wege des vorgeschrie-
benen Gesetzes sicher ginge.

So lange aber Rom sich selbst treu war, so lange war
Tugend der höchste Ruhm des Weibes, und um diesen
stritten die Jünglinge für ihre Frauen. Man beschloß sie
zu überraschen damit die That entscheide. In Rom
schwelgten die Frauen der Tarquinier in einer späten
Nachtstunde bey einem Gastmahl, unter Blumen und

82) Fragmente Orig. II., aus Priscian.

ſchen, und Cato 82) nannte einen Dictator des Latini-
ſchen Bunds Egerius Lesbius. Wollen wir uns erlauben
eine Erklaͤrung zu verſuchen, ſo erinnert er an die Goͤttin
Egeria, die von den ſchwangern Frauen verehrt ward;
und er mochte ſich, in dem Sinn eines Leichtgebohrnen,
eben ſo auf die Umſtaͤnde der Geburt beziehen wie die eben-
falls veralteten Agrippa und Vopiſcus. Es ſcheint, wie
wenig ſich auch Collatinus Abſtammung hiſtoriſch beſtim-
men laͤßt, daß er der koͤniglichen Familie ſehr nahe ver-
wandt war: ſo nahe daß dies die uns ſo hart ſcheinende
Verbannung entſchuldigen moͤchte.

Eine Freyheit des Umgangs wie ſie die Frauen des
Abendlands genießen, war den Roͤmerinnen durch Unter-
thaͤnigkeit gegen Vater und Mann, durch ſtille ſtrenge
Zucht, durch Hausfleiß und unverbruͤchliche Geſetze der
ſtrengſten Nuͤchternheit erworben, wie ihren Maͤnnern die
Buͤrgerfreyheit durch gleich unbedingten Gehorſam unter
eiſernen Geſetzen. Die Griechinnen trugen kein Joch der
Sitte und des Gehorſams, daher war allgemeiner Zwang
und Einkloſterung nothwendig: die Ausnahmen ſind ſehr
ſelten wo ein Weib außer auf dem Wege des vorgeſchrie-
benen Geſetzes ſicher ginge.

So lange aber Rom ſich ſelbſt treu war, ſo lange war
Tugend der hoͤchſte Ruhm des Weibes, und um dieſen
ſtritten die Juͤnglinge fuͤr ihre Frauen. Man beſchloß ſie
zu uͤberraſchen damit die That entſcheide. In Rom
ſchwelgten die Frauen der Tarquinier in einer ſpaͤten
Nachtſtunde bey einem Gaſtmahl, unter Blumen und

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[317/0339] ſchen, und Cato 82) nannte einen Dictator des Latini- ſchen Bunds Egerius Lesbius. Wollen wir uns erlauben eine Erklaͤrung zu verſuchen, ſo erinnert er an die Goͤttin Egeria, die von den ſchwangern Frauen verehrt ward; und er mochte ſich, in dem Sinn eines Leichtgebohrnen, eben ſo auf die Umſtaͤnde der Geburt beziehen wie die eben- falls veralteten Agrippa und Vopiſcus. Es ſcheint, wie wenig ſich auch Collatinus Abſtammung hiſtoriſch beſtim- men laͤßt, daß er der koͤniglichen Familie ſehr nahe ver- wandt war: ſo nahe daß dies die uns ſo hart ſcheinende Verbannung entſchuldigen moͤchte. Eine Freyheit des Umgangs wie ſie die Frauen des Abendlands genießen, war den Roͤmerinnen durch Unter- thaͤnigkeit gegen Vater und Mann, durch ſtille ſtrenge Zucht, durch Hausfleiß und unverbruͤchliche Geſetze der ſtrengſten Nuͤchternheit erworben, wie ihren Maͤnnern die Buͤrgerfreyheit durch gleich unbedingten Gehorſam unter eiſernen Geſetzen. Die Griechinnen trugen kein Joch der Sitte und des Gehorſams, daher war allgemeiner Zwang und Einkloſterung nothwendig: die Ausnahmen ſind ſehr ſelten wo ein Weib außer auf dem Wege des vorgeſchrie- benen Geſetzes ſicher ginge. So lange aber Rom ſich ſelbſt treu war, ſo lange war Tugend der hoͤchſte Ruhm des Weibes, und um dieſen ſtritten die Juͤnglinge fuͤr ihre Frauen. Man beſchloß ſie zu uͤberraſchen damit die That entſcheide. In Rom ſchwelgten die Frauen der Tarquinier in einer ſpaͤten Nachtſtunde bey einem Gaſtmahl, unter Blumen und 82) Fragmente Orig. II., aus Priſcian.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/339>, abgerufen am 25.11.2024.