so weit er es brauchte an ihrer Stelle nützlich gewe- sen wären.
Ardea, die Stadt der Rutuler, welche schon mit den Latinern vereinigt waren, verweigerte dem König Gehor- sam, und ward mit großer Macht belagert. Schon wa- ren die Städte jener Gegenden mit starken Mauern befe- stigt, und noch waren selbst in Griechenland die Maschi- nen nicht erfunden, durch die ein stets wachsender Wett- streit zwischen der Kunst des Angriffs und der Vertheidi- gung fester Städte begann. Hunger, verwegne Bestür- mung, oder Untergrabung der Mauern waren die einzigen Mittel der Eroberung, wenn die Belagerten gegen Ver- rath sicher waren. Ardea war schon lange eingeschlossen, und im Heer herrschte der Müßiggang eines sorglosen La- gers. Bey dem Trunk stritten die Söhne des Königs mit ihrem Vetter L. Tarquinius Collatinus über den Vorzug ihrer Frauen. So sorglos ist die dichterische Sage dieser alten Mähren über Zeitrechnung und Möglichkeit, eben wie in unsern alten Liedern, daß Collatinus der Sohn eines vor des ersten Tarquinius Auswandrung aus Etru- rien, also vor mehr als 123 Jahren, nach dem Tode sei- nes ältern Bruders diesem gebohrnen Sohns genannt wird, und doch ein Mann in der Fülle des Jugendlebens. Die Sage daß sein Vater ein spätgebohrnes Kind gewesen sey, scheint ihren Grund allein in dem Vornahmen zu ha- ben den er trug; Egerius: dieser wird auf seine erblose Geburt bezogen. Aber auch diese Deutung ist gewiß so falsch als willkührlich: der Nahme war einer der vielen allmählich zu Rom ungebräuchlich gewordnen Altlatini-
ſo weit er es brauchte an ihrer Stelle nuͤtzlich gewe- ſen waͤren.
Ardea, die Stadt der Rutuler, welche ſchon mit den Latinern vereinigt waren, verweigerte dem Koͤnig Gehor- ſam, und ward mit großer Macht belagert. Schon wa- ren die Staͤdte jener Gegenden mit ſtarken Mauern befe- ſtigt, und noch waren ſelbſt in Griechenland die Maſchi- nen nicht erfunden, durch die ein ſtets wachſender Wett- ſtreit zwiſchen der Kunſt des Angriffs und der Vertheidi- gung feſter Staͤdte begann. Hunger, verwegne Beſtuͤr- mung, oder Untergrabung der Mauern waren die einzigen Mittel der Eroberung, wenn die Belagerten gegen Ver- rath ſicher waren. Ardea war ſchon lange eingeſchloſſen, und im Heer herrſchte der Muͤßiggang eines ſorgloſen La- gers. Bey dem Trunk ſtritten die Soͤhne des Koͤnigs mit ihrem Vetter L. Tarquinius Collatinus uͤber den Vorzug ihrer Frauen. So ſorglos iſt die dichteriſche Sage dieſer alten Maͤhren uͤber Zeitrechnung und Moͤglichkeit, eben wie in unſern alten Liedern, daß Collatinus der Sohn eines vor des erſten Tarquinius Auswandrung aus Etru- rien, alſo vor mehr als 123 Jahren, nach dem Tode ſei- nes aͤltern Bruders dieſem gebohrnen Sohns genannt wird, und doch ein Mann in der Fuͤlle des Jugendlebens. Die Sage daß ſein Vater ein ſpaͤtgebohrnes Kind geweſen ſey, ſcheint ihren Grund allein in dem Vornahmen zu ha- ben den er trug; Egerius: dieſer wird auf ſeine erbloſe Geburt bezogen. Aber auch dieſe Deutung iſt gewiß ſo falſch als willkuͤhrlich: der Nahme war einer der vielen allmaͤhlich zu Rom ungebraͤuchlich gewordnen Altlatini-
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ſo weit er es brauchte an ihrer Stelle nuͤtzlich gewe-
ſen waͤren.
Ardea, die Stadt der Rutuler, welche ſchon mit den
Latinern vereinigt waren, verweigerte dem Koͤnig Gehor-
ſam, und ward mit großer Macht belagert. Schon wa-
ren die Staͤdte jener Gegenden mit ſtarken Mauern befe-
ſtigt, und noch waren ſelbſt in Griechenland die Maſchi-
nen nicht erfunden, durch die ein ſtets wachſender Wett-
ſtreit zwiſchen der Kunſt des Angriffs und der Vertheidi-
gung feſter Staͤdte begann. Hunger, verwegne Beſtuͤr-
mung, oder Untergrabung der Mauern waren die einzigen
Mittel der Eroberung, wenn die Belagerten gegen Ver-
rath ſicher waren. Ardea war ſchon lange eingeſchloſſen,
und im Heer herrſchte der Muͤßiggang eines ſorgloſen La-
gers. Bey dem Trunk ſtritten die Soͤhne des Koͤnigs mit
ihrem Vetter L. Tarquinius Collatinus uͤber den Vorzug
ihrer Frauen. So ſorglos iſt die dichteriſche Sage dieſer
alten Maͤhren uͤber Zeitrechnung und Moͤglichkeit, eben
wie in unſern alten Liedern, daß Collatinus der Sohn
eines vor des erſten Tarquinius Auswandrung aus Etru-
rien, alſo vor mehr als 123 Jahren, nach dem Tode ſei-
nes aͤltern Bruders dieſem gebohrnen Sohns genannt
wird, und doch ein Mann in der Fuͤlle des Jugendlebens.
Die Sage daß ſein Vater ein ſpaͤtgebohrnes Kind geweſen
ſey, ſcheint ihren Grund allein in dem Vornahmen zu ha-
ben den er trug; Egerius: dieſer wird auf ſeine erbloſe
Geburt bezogen. Aber auch dieſe Deutung iſt gewiß ſo
falſch als willkuͤhrlich: der Nahme war einer der vielen
allmaͤhlich zu Rom ungebraͤuchlich gewordnen Altlatini-
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/338>, abgerufen am 22.11.2024.
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