ten Adler waren ausgeflogen um Speise zu holen: Geyer in großer Menge überfielen das Nest, stürzten die ungefie- derten Jungen heraus, und vertrieben die zu spät zurück- kehrenden Alten. Der König träumte: er stehe am Altar zu opfern: es würden ihm zwey Widder vorgeführt, von einem Vater gezeugt: er wähle den schönsten zum Opfer: der andre stieße ihn mit den Hörnern nieder. Zugleich verändere die Sonne ihren Lauf, und kehre vom Unter- gang zum Morgen zurück. Da warnten ihn die Traumdeu- ter vergebens vor dem der ihm blödsinnig scheine. Er hatte Brutus zum Obersten der Ritter gesetzt, denn damals war Celeres der Nahme dieser Klasse 81), nicht der Leibwache, wie Livius nicht weniger als Dionysius irrig sagt. Diese Würde verhielt sich zur königlichen wie die des Magister Equitum zur Dictatur, und durch diese Magistratur ward sie erhalten. Ein Oberster der Leibwache hätte unmöglich befugt seyn können eine Volksgemeinde anzusagen. Daß Brutus mit jener Würde bekleidet war scheint zu der äu- ßerst kleinen Zahl historischer Thatsachen zu gehören, eben auch deswegen weil die Kunde sich erhalten hat, wahr- scheinlich mit dem Verbannungsgesetz der Könige, ob- gleich unvereinbar mit der Dichtung worin sie verwebt ist: denn wie hätte Tarquinius diese Macht einem vermeinten Blödsinnigen anvertrauen können? Man hat gesagt, weil sie groß, und in den Händen eines kräftigen Mannes ge- fährlich war. Dazu hätte es ihm wohl nicht weder an ganz hingegebnen Dienern, noch an schwachen Men- schen gefehlt, die ihm, was ein Narr nie seyn konnte,
81) Plinius XXXIII. c. 9. und Festus im Auszuge s. v.
ten Adler waren ausgeflogen um Speiſe zu holen: Geyer in großer Menge uͤberfielen das Neſt, ſtuͤrzten die ungefie- derten Jungen heraus, und vertrieben die zu ſpaͤt zuruͤck- kehrenden Alten. Der Koͤnig traͤumte: er ſtehe am Altar zu opfern: es wuͤrden ihm zwey Widder vorgefuͤhrt, von einem Vater gezeugt: er waͤhle den ſchoͤnſten zum Opfer: der andre ſtieße ihn mit den Hoͤrnern nieder. Zugleich veraͤndere die Sonne ihren Lauf, und kehre vom Unter- gang zum Morgen zuruͤck. Da warnten ihn die Traumdeu- ter vergebens vor dem der ihm bloͤdſinnig ſcheine. Er hatte Brutus zum Oberſten der Ritter geſetzt, denn damals war Celeres der Nahme dieſer Klaſſe 81), nicht der Leibwache, wie Livius nicht weniger als Dionyſius irrig ſagt. Dieſe Wuͤrde verhielt ſich zur koͤniglichen wie die des Magiſter Equitum zur Dictatur, und durch dieſe Magiſtratur ward ſie erhalten. Ein Oberſter der Leibwache haͤtte unmoͤglich befugt ſeyn koͤnnen eine Volksgemeinde anzuſagen. Daß Brutus mit jener Wuͤrde bekleidet war ſcheint zu der aͤu- ßerſt kleinen Zahl hiſtoriſcher Thatſachen zu gehoͤren, eben auch deswegen weil die Kunde ſich erhalten hat, wahr- ſcheinlich mit dem Verbannungsgeſetz der Koͤnige, ob- gleich unvereinbar mit der Dichtung worin ſie verwebt iſt: denn wie haͤtte Tarquinius dieſe Macht einem vermeinten Bloͤdſinnigen anvertrauen koͤnnen? Man hat geſagt, weil ſie groß, und in den Haͤnden eines kraͤftigen Mannes ge- faͤhrlich war. Dazu haͤtte es ihm wohl nicht weder an ganz hingegebnen Dienern, noch an ſchwachen Men- ſchen gefehlt, die ihm, was ein Narr nie ſeyn konnte,
81) Plinius XXXIII. c. 9. und Feſtus im Auszuge s. v.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0337"n="315"/>
ten Adler waren ausgeflogen um Speiſe zu holen: Geyer<lb/>
in großer Menge uͤberfielen das Neſt, ſtuͤrzten die ungefie-<lb/>
derten Jungen heraus, und vertrieben die zu ſpaͤt zuruͤck-<lb/>
kehrenden Alten. Der Koͤnig traͤumte: er ſtehe am Altar<lb/>
zu opfern: es wuͤrden ihm zwey Widder vorgefuͤhrt, von<lb/>
einem Vater gezeugt: er waͤhle den ſchoͤnſten zum Opfer:<lb/>
der andre ſtieße ihn mit den Hoͤrnern nieder. Zugleich<lb/>
veraͤndere die Sonne ihren Lauf, und kehre vom Unter-<lb/>
gang zum Morgen zuruͤck. Da warnten ihn die Traumdeu-<lb/>
ter vergebens vor dem der ihm bloͤdſinnig ſcheine. Er hatte<lb/>
Brutus zum Oberſten der Ritter geſetzt, denn damals war<lb/>
Celeres der Nahme dieſer Klaſſe <noteplace="foot"n="81)">Plinius <hirendition="#aq">XXXIII. c. 9.</hi> und Feſtus im Auszuge <hirendition="#aq">s. v.</hi></note>, nicht der Leibwache,<lb/>
wie Livius nicht weniger als Dionyſius irrig ſagt. Dieſe<lb/>
Wuͤrde verhielt ſich zur koͤniglichen wie die des Magiſter<lb/>
Equitum zur Dictatur, und durch dieſe Magiſtratur ward<lb/>ſie erhalten. Ein Oberſter der Leibwache haͤtte unmoͤglich<lb/>
befugt ſeyn koͤnnen eine Volksgemeinde anzuſagen. Daß<lb/>
Brutus mit jener Wuͤrde bekleidet war ſcheint zu der aͤu-<lb/>
ßerſt kleinen Zahl hiſtoriſcher Thatſachen zu gehoͤren, eben<lb/>
auch deswegen weil die Kunde ſich erhalten hat, wahr-<lb/>ſcheinlich mit dem Verbannungsgeſetz der Koͤnige, ob-<lb/>
gleich unvereinbar mit der Dichtung worin ſie verwebt iſt:<lb/>
denn wie haͤtte Tarquinius dieſe Macht einem vermeinten<lb/>
Bloͤdſinnigen anvertrauen koͤnnen? Man hat geſagt, weil<lb/>ſie groß, und in den Haͤnden eines kraͤftigen Mannes ge-<lb/>
faͤhrlich war. Dazu haͤtte es ihm wohl nicht weder an<lb/>
ganz hingegebnen Dienern, noch an ſchwachen Men-<lb/>ſchen gefehlt, die ihm, was ein Narr nie ſeyn konnte,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[315/0337]
ten Adler waren ausgeflogen um Speiſe zu holen: Geyer
in großer Menge uͤberfielen das Neſt, ſtuͤrzten die ungefie-
derten Jungen heraus, und vertrieben die zu ſpaͤt zuruͤck-
kehrenden Alten. Der Koͤnig traͤumte: er ſtehe am Altar
zu opfern: es wuͤrden ihm zwey Widder vorgefuͤhrt, von
einem Vater gezeugt: er waͤhle den ſchoͤnſten zum Opfer:
der andre ſtieße ihn mit den Hoͤrnern nieder. Zugleich
veraͤndere die Sonne ihren Lauf, und kehre vom Unter-
gang zum Morgen zuruͤck. Da warnten ihn die Traumdeu-
ter vergebens vor dem der ihm bloͤdſinnig ſcheine. Er hatte
Brutus zum Oberſten der Ritter geſetzt, denn damals war
Celeres der Nahme dieſer Klaſſe 81), nicht der Leibwache,
wie Livius nicht weniger als Dionyſius irrig ſagt. Dieſe
Wuͤrde verhielt ſich zur koͤniglichen wie die des Magiſter
Equitum zur Dictatur, und durch dieſe Magiſtratur ward
ſie erhalten. Ein Oberſter der Leibwache haͤtte unmoͤglich
befugt ſeyn koͤnnen eine Volksgemeinde anzuſagen. Daß
Brutus mit jener Wuͤrde bekleidet war ſcheint zu der aͤu-
ßerſt kleinen Zahl hiſtoriſcher Thatſachen zu gehoͤren, eben
auch deswegen weil die Kunde ſich erhalten hat, wahr-
ſcheinlich mit dem Verbannungsgeſetz der Koͤnige, ob-
gleich unvereinbar mit der Dichtung worin ſie verwebt iſt:
denn wie haͤtte Tarquinius dieſe Macht einem vermeinten
Bloͤdſinnigen anvertrauen koͤnnen? Man hat geſagt, weil
ſie groß, und in den Haͤnden eines kraͤftigen Mannes ge-
faͤhrlich war. Dazu haͤtte es ihm wohl nicht weder an
ganz hingegebnen Dienern, noch an ſchwachen Men-
ſchen gefehlt, die ihm, was ein Narr nie ſeyn konnte,
81) Plinius XXXIII. c. 9. und Feſtus im Auszuge s. v.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/337>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.