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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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es wäre früh durch die Verwirrungen zerrissen worden in
denen das wahrhaft Vortreffliche, die Freyheit und die
angestammte Eigenthümlichkeit zuletzt unterging. Es ge-
hört zu den höchsten Gaben des Glücks welches über Rom
waltete daß zu den Zeitpunkten wo das innere reifende Le-
ben eine neue Form entwickelte, die äußern Umstände ihre
Entfaltung förderten, fern davon sie zu hemmen: wäh-
rend andre Völker durch sie theils in ewiger Kindheit ge-
halten wurden, theils früh erschöpft hinwelkten. Hätte
Servius Tullius den unsichern Zustand des Volks nicht
durch Freyheiten und Verfassung geendigt, so würden die
Patricier es vielleicht zur Clientel gezwungen haben. Es
hätte sich so wenig als es in Etrurien geschah die Linien-
infanterie bilden können, welche Roms Kraft war, weil
man, besonders nach der Abschaffung der Monarchie,
nicht gewagt haben würde dem Volk Waffen zu geben: die
Kriege wären immer nichts als kurzdauernde Einfälle einer
Reuterschaar und eines Haufens halbbewaffneter Plünde-
rer, das nothwendige Kriegssystem aller Oligarchieen des
Alterthums, geblieben: während die Macht der Samniter,
gegründet auf ihre herrliche Infanterie, Rom immer näher
gekommen wäre, und ehe sie zusammentreffen konnten,
überwogen haben würde. Im Innern würde despotische
Gewalt sich befestigt, das Volk in seinem Groll die Unter-
drückung des Adels begünstigt haben; oder die Patricier
hätten doch die Königswürde abgeschafft und die Republik
durch die Curien beherrscht: dann wären auf keinen Fall
die Mittelzustände vorhanden gewesen, welche auf dem
Wege zur Bildung einer Politie, wie Rom allein sie ge-

es waͤre fruͤh durch die Verwirrungen zerriſſen worden in
denen das wahrhaft Vortreffliche, die Freyheit und die
angeſtammte Eigenthuͤmlichkeit zuletzt unterging. Es ge-
hoͤrt zu den hoͤchſten Gaben des Gluͤcks welches uͤber Rom
waltete daß zu den Zeitpunkten wo das innere reifende Le-
ben eine neue Form entwickelte, die aͤußern Umſtaͤnde ihre
Entfaltung foͤrderten, fern davon ſie zu hemmen: waͤh-
rend andre Voͤlker durch ſie theils in ewiger Kindheit ge-
halten wurden, theils fruͤh erſchoͤpft hinwelkten. Haͤtte
Servius Tullius den unſichern Zuſtand des Volks nicht
durch Freyheiten und Verfaſſung geendigt, ſo wuͤrden die
Patricier es vielleicht zur Clientel gezwungen haben. Es
haͤtte ſich ſo wenig als es in Etrurien geſchah die Linien-
infanterie bilden koͤnnen, welche Roms Kraft war, weil
man, beſonders nach der Abſchaffung der Monarchie,
nicht gewagt haben wuͤrde dem Volk Waffen zu geben: die
Kriege waͤren immer nichts als kurzdauernde Einfaͤlle einer
Reuterſchaar und eines Haufens halbbewaffneter Pluͤnde-
rer, das nothwendige Kriegsſyſtem aller Oligarchieen des
Alterthums, geblieben: waͤhrend die Macht der Samniter,
gegruͤndet auf ihre herrliche Infanterie, Rom immer naͤher
gekommen waͤre, und ehe ſie zuſammentreffen konnten,
uͤberwogen haben wuͤrde. Im Innern wuͤrde deſpotiſche
Gewalt ſich befeſtigt, das Volk in ſeinem Groll die Unter-
druͤckung des Adels beguͤnſtigt haben; oder die Patricier
haͤtten doch die Koͤnigswuͤrde abgeſchafft und die Republik
durch die Curien beherrſcht: dann waͤren auf keinen Fall
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[253/0275] es waͤre fruͤh durch die Verwirrungen zerriſſen worden in denen das wahrhaft Vortreffliche, die Freyheit und die angeſtammte Eigenthuͤmlichkeit zuletzt unterging. Es ge- hoͤrt zu den hoͤchſten Gaben des Gluͤcks welches uͤber Rom waltete daß zu den Zeitpunkten wo das innere reifende Le- ben eine neue Form entwickelte, die aͤußern Umſtaͤnde ihre Entfaltung foͤrderten, fern davon ſie zu hemmen: waͤh- rend andre Voͤlker durch ſie theils in ewiger Kindheit ge- halten wurden, theils fruͤh erſchoͤpft hinwelkten. Haͤtte Servius Tullius den unſichern Zuſtand des Volks nicht durch Freyheiten und Verfaſſung geendigt, ſo wuͤrden die Patricier es vielleicht zur Clientel gezwungen haben. Es haͤtte ſich ſo wenig als es in Etrurien geſchah die Linien- infanterie bilden koͤnnen, welche Roms Kraft war, weil man, beſonders nach der Abſchaffung der Monarchie, nicht gewagt haben wuͤrde dem Volk Waffen zu geben: die Kriege waͤren immer nichts als kurzdauernde Einfaͤlle einer Reuterſchaar und eines Haufens halbbewaffneter Pluͤnde- rer, das nothwendige Kriegsſyſtem aller Oligarchieen des Alterthums, geblieben: waͤhrend die Macht der Samniter, gegruͤndet auf ihre herrliche Infanterie, Rom immer naͤher gekommen waͤre, und ehe ſie zuſammentreffen konnten, uͤberwogen haben wuͤrde. Im Innern wuͤrde deſpotiſche Gewalt ſich befeſtigt, das Volk in ſeinem Groll die Unter- druͤckung des Adels beguͤnſtigt haben; oder die Patricier haͤtten doch die Koͤnigswuͤrde abgeſchafft und die Republik durch die Curien beherrſcht: dann waͤren auf keinen Fall die Mittelzuſtaͤnde vorhanden geweſen, welche auf dem Wege zur Bildung einer Politie, wie Rom allein ſie ge-

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/275>, abgerufen am 22.11.2024.