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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776.

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bey der Mittagstafel, wo ihnen oft der Bissen viel
leichter in den Mund, als das Wort aus dem Munde
zu gehen pflegt; daß sie ihnen, des Morgens, zu einer
eben so nothmendigen Seelenatzung geworden sind,
als das Kartenspiel, des Abends. Dazu kam, daß
die Zeitungsschreiber damals, wenigstens monatlich
ein paarmahl, Besorgniß wegen eines bevorstehenden
Krieges äußerten. So oft dieses geschahe, pflegte
der alte Säugling, in Gedanken, und oft auch auf
dem Papiere, zu berechnen, wie viel Lieferungen
von mancherley Art für die Armeen nöthig seyn möch-
ten, und Entwürfe zu machen, wie sie in den ver-
schiedenen Ländern, wo der Schauplatz des Krieges
vorausgesetzet ward, könnten herbey geschaft werden.
Denn ob er gleich gar nicht willens war, selbst wieder
etwas zu unternehmen, so waren doch Spekulationen
dieser Art, wie er aus der Erfahrung sehr wohl wußte,
ein sicheres Mittel, seinen Geist in der anspannungs-
losen Thätigkeit zu erhalten, durch welche der Körper,
die vornehmste Sorge reicher müßiger Leute, so wohl-
behaglich genähret wird, daß alle sechs nicht natür-
liche Dinge
*) in der besten Ordnung von Statten
gehen.

Ein
*) Die Aerzte begreifen unter dieser Benennung: Athemholen,
Speise und Trank, Ausführungen, Schlaf, Bewegung,
Leidenschafften.
Dritter Theil. G



bey der Mittagstafel, wo ihnen oft der Biſſen viel
leichter in den Mund, als das Wort aus dem Munde
zu gehen pflegt; daß ſie ihnen, des Morgens, zu einer
eben ſo nothmendigen Seelenatzung geworden ſind,
als das Kartenſpiel, des Abends. Dazu kam, daß
die Zeitungsſchreiber damals, wenigſtens monatlich
ein paarmahl, Beſorgniß wegen eines bevorſtehenden
Krieges aͤußerten. So oft dieſes geſchahe, pflegte
der alte Saͤugling, in Gedanken, und oft auch auf
dem Papiere, zu berechnen, wie viel Lieferungen
von mancherley Art fuͤr die Armeen noͤthig ſeyn moͤch-
ten, und Entwuͤrfe zu machen, wie ſie in den ver-
ſchiedenen Laͤndern, wo der Schauplatz des Krieges
vorausgeſetzet ward, koͤnnten herbey geſchaft werden.
Denn ob er gleich gar nicht willens war, ſelbſt wieder
etwas zu unternehmen, ſo waren doch Spekulationen
dieſer Art, wie er aus der Erfahrung ſehr wohl wußte,
ein ſicheres Mittel, ſeinen Geiſt in der anſpannungs-
loſen Thaͤtigkeit zu erhalten, durch welche der Koͤrper,
die vornehmſte Sorge reicher muͤßiger Leute, ſo wohl-
behaglich genaͤhret wird, daß alle ſechs nicht natuͤr-
liche Dinge
*) in der beſten Ordnung von Statten
gehen.

Ein
*) Die Aerzte begreifen unter dieſer Benennung: Athemholen,
Speiſe und Trank, Ausführungen, Schlaf, Bewegung,
Leidenſchafften.
Dritter Theil. G
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[95[94]/0105] bey der Mittagstafel, wo ihnen oft der Biſſen viel leichter in den Mund, als das Wort aus dem Munde zu gehen pflegt; daß ſie ihnen, des Morgens, zu einer eben ſo nothmendigen Seelenatzung geworden ſind, als das Kartenſpiel, des Abends. Dazu kam, daß die Zeitungsſchreiber damals, wenigſtens monatlich ein paarmahl, Beſorgniß wegen eines bevorſtehenden Krieges aͤußerten. So oft dieſes geſchahe, pflegte der alte Saͤugling, in Gedanken, und oft auch auf dem Papiere, zu berechnen, wie viel Lieferungen von mancherley Art fuͤr die Armeen noͤthig ſeyn moͤch- ten, und Entwuͤrfe zu machen, wie ſie in den ver- ſchiedenen Laͤndern, wo der Schauplatz des Krieges vorausgeſetzet ward, koͤnnten herbey geſchaft werden. Denn ob er gleich gar nicht willens war, ſelbſt wieder etwas zu unternehmen, ſo waren doch Spekulationen dieſer Art, wie er aus der Erfahrung ſehr wohl wußte, ein ſicheres Mittel, ſeinen Geiſt in der anſpannungs- loſen Thaͤtigkeit zu erhalten, durch welche der Koͤrper, die vornehmſte Sorge reicher muͤßiger Leute, ſo wohl- behaglich genaͤhret wird, daß alle ſechs nicht natuͤr- liche Dinge *) in der beſten Ordnung von Statten gehen. Ein *) Die Aerzte begreifen unter dieſer Benennung: Athemholen, Speiſe und Trank, Ausführungen, Schlaf, Bewegung, Leidenſchafften. Dritter Theil. G

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776, S. 95[94]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/105>, abgerufen am 21.11.2024.