ihn seyn, konnte von sehr vielen Sachen sprechen, die, ohne seinen zur Bemühung ungewohnten Geist durch Anstrengung zu ermüden, doch einige Beschäf- tigung darboten.
Er trug also dem Sebaldus, nebst freyer Kost und Wohnung, ein jährliches Gehalt an, welches, wie leicht zu erachten, sehr willig angenommen ward. Sebaldus kam dadurch, aus dem tiefsten Elende, in einen Stand der Ruhe und Gemächlichkeit, der ihn wieder zum Genusse des Lebens empfindlich machte. Der Hauch vaterländischer deutscher Luft, erweckte wieder das Verlangen nach seiner Tochter und nach seinem Sohne. Bloß der gänzliche Mangel an Nachricht von diesen geliebten Kindern, unterbrach zu- weilen die Behaglichkeit, in der er lebte, und die seine leicht zu befriedigende Wünsche sonst ganz erschöpfte.
Seine vornehmste Pflicht war, beym Frühstücke die Zeitungen aller Art vorzulesen. Der alte Säug- ling hatte diese Lektur, von der ersten Zeit seiner Ein- samkeit an, als ein hauptsächliches Hülfsmittel wi- der die lange Weile gebrauchet. Die Zeitungen ge- ben undenkenden Köpfen eine so unschuldige Ge- legenheit, ihre wenigen Seelenkräfte auf eine halbe Stunde in eine Art von Bewegung zu setzen, und veranlaßen wohl noch ein viertelstündiges Gespräch
bey
ihn ſeyn, konnte von ſehr vielen Sachen ſprechen, die, ohne ſeinen zur Bemuͤhung ungewohnten Geiſt durch Anſtrengung zu ermuͤden, doch einige Beſchaͤf- tigung darboten.
Er trug alſo dem Sebaldus, nebſt freyer Koſt und Wohnung, ein jaͤhrliches Gehalt an, welches, wie leicht zu erachten, ſehr willig angenommen ward. Sebaldus kam dadurch, aus dem tiefſten Elende, in einen Stand der Ruhe und Gemaͤchlichkeit, der ihn wieder zum Genuſſe des Lebens empfindlich machte. Der Hauch vaterlaͤndiſcher deutſcher Luft, erweckte wieder das Verlangen nach ſeiner Tochter und nach ſeinem Sohne. Bloß der gaͤnzliche Mangel an Nachricht von dieſen geliebten Kindern, unterbrach zu- weilen die Behaglichkeit, in der er lebte, und die ſeine leicht zu befriedigende Wuͤnſche ſonſt ganz erſchoͤpfte.
Seine vornehmſte Pflicht war, beym Fruͤhſtuͤcke die Zeitungen aller Art vorzuleſen. Der alte Saͤug- ling hatte dieſe Lektur, von der erſten Zeit ſeiner Ein- ſamkeit an, als ein hauptſaͤchliches Huͤlfsmittel wi- der die lange Weile gebrauchet. Die Zeitungen ge- ben undenkenden Koͤpfen eine ſo unſchuldige Ge- legenheit, ihre wenigen Seelenkraͤfte auf eine halbe Stunde in eine Art von Bewegung zu ſetzen, und veranlaßen wohl noch ein viertelſtuͤndiges Geſpraͤch
bey
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[94[93]/0104]
ihn ſeyn, konnte von ſehr vielen Sachen ſprechen,
die, ohne ſeinen zur Bemuͤhung ungewohnten Geiſt
durch Anſtrengung zu ermuͤden, doch einige Beſchaͤf-
tigung darboten.
Er trug alſo dem Sebaldus, nebſt freyer Koſt und
Wohnung, ein jaͤhrliches Gehalt an, welches, wie
leicht zu erachten, ſehr willig angenommen ward.
Sebaldus kam dadurch, aus dem tiefſten Elende, in
einen Stand der Ruhe und Gemaͤchlichkeit, der
ihn wieder zum Genuſſe des Lebens empfindlich machte.
Der Hauch vaterlaͤndiſcher deutſcher Luft, erweckte
wieder das Verlangen nach ſeiner Tochter und nach
ſeinem Sohne. Bloß der gaͤnzliche Mangel an
Nachricht von dieſen geliebten Kindern, unterbrach zu-
weilen die Behaglichkeit, in der er lebte, und die ſeine
leicht zu befriedigende Wuͤnſche ſonſt ganz erſchoͤpfte.
Seine vornehmſte Pflicht war, beym Fruͤhſtuͤcke
die Zeitungen aller Art vorzuleſen. Der alte Saͤug-
ling hatte dieſe Lektur, von der erſten Zeit ſeiner Ein-
ſamkeit an, als ein hauptſaͤchliches Huͤlfsmittel wi-
der die lange Weile gebrauchet. Die Zeitungen ge-
ben undenkenden Koͤpfen eine ſo unſchuldige Ge-
legenheit, ihre wenigen Seelenkraͤfte auf eine halbe
Stunde in eine Art von Bewegung zu ſetzen, und
veranlaßen wohl noch ein viertelſtuͤndiges Geſpraͤch
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776, S. 94[93]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/104>, abgerufen am 16.02.2025.
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