Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite



sechsen, hatte einen Läufer und vier Lakaien, alles
Dinge, die ihm, bey einem jungen Fräulein nach der
Welt, einen großen Vorzug vor dem armen Säug-
ling
zuwegebringen mußten, der ihm, außer einer klei-
nen netten geschniegelten Person, einem geringen An-
fange von Weltmanieren, und vielen Gedichten,
nichts entgegen zu setzen hatte. Säugling stellte also
von dem Augenblicke an, da der Oberste erschien, nur
die zweyte Person vor. Glücklicherweise ward er die-
ses nicht einmal gewahr; denn das Fräulein ver-
stand nicht allein die Kunst sehr wohl, sich mit mehr
als Einem Anbeter zu unterhalten, sondern der Oberste,
ein feiner Weltmann, der alle Dinge so zu nehmen
wußte, wie sie waren, wollte auch nicht umsonst
mit einem ihm so neuen Geschöpfe, als ein Deutscher
Poet war, vierzehn Tage lang in Gesellschaft ge-
wesen seyn. Er hatte sich, schon seit einiger Zeit, in
der am Hofe so nützlichen Kunst geübt, sich anzustel-
len, als ob er jedes Ding verstehe oder daran An-
theil nehme, was er zu verstehen oder woran er An-
theil zu nehmen scheinen wollte. Diese von vielen
Hofleuten für ein großes politisches Geheimniß ge-
achtete Kunst besteht, im Grunde, bloß in einigen
Geberden und kahlen Gemeinsprüchen, die, wie in
manchen Ländern geringhaltige Münze, am Hofe

für



ſechſen, hatte einen Laͤufer und vier Lakaien, alles
Dinge, die ihm, bey einem jungen Fraͤulein nach der
Welt, einen großen Vorzug vor dem armen Saͤug-
ling
zuwegebringen mußten, der ihm, außer einer klei-
nen netten geſchniegelten Perſon, einem geringen An-
fange von Weltmanieren, und vielen Gedichten,
nichts entgegen zu ſetzen hatte. Saͤugling ſtellte alſo
von dem Augenblicke an, da der Oberſte erſchien, nur
die zweyte Perſon vor. Gluͤcklicherweiſe ward er die-
ſes nicht einmal gewahr; denn das Fraͤulein ver-
ſtand nicht allein die Kunſt ſehr wohl, ſich mit mehr
als Einem Anbeter zu unterhalten, ſondern der Oberſte,
ein feiner Weltmann, der alle Dinge ſo zu nehmen
wußte, wie ſie waren, wollte auch nicht umſonſt
mit einem ihm ſo neuen Geſchoͤpfe, als ein Deutſcher
Poet war, vierzehn Tage lang in Geſellſchaft ge-
weſen ſeyn. Er hatte ſich, ſchon ſeit einiger Zeit, in
der am Hofe ſo nuͤtzlichen Kunſt geuͤbt, ſich anzuſtel-
len, als ob er jedes Ding verſtehe oder daran An-
theil nehme, was er zu verſtehen oder woran er An-
theil zu nehmen ſcheinen wollte. Dieſe von vielen
Hofleuten fuͤr ein großes politiſches Geheimniß ge-
achtete Kunſt beſteht, im Grunde, bloß in einigen
Geberden und kahlen Gemeinſpruͤchen, die, wie in
manchen Laͤndern geringhaltige Muͤnze, am Hofe

fuͤr
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0168" n="158"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x017F;ech&#x017F;en, hatte einen La&#x0364;ufer und vier Lakaien, alles<lb/>
Dinge, die ihm, bey einem jungen Fra&#x0364;ulein nach der<lb/>
Welt, einen großen Vorzug vor dem armen <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ug-<lb/>
ling</hi> zuwegebringen mußten, der ihm, außer einer klei-<lb/>
nen netten ge&#x017F;chniegelten Per&#x017F;on, einem geringen An-<lb/>
fange von Weltmanieren, und vielen Gedichten,<lb/>
nichts entgegen zu &#x017F;etzen hatte. <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ugling</hi> &#x017F;tellte al&#x017F;o<lb/>
von dem Augenblicke an, da der Ober&#x017F;te er&#x017F;chien, nur<lb/>
die zweyte Per&#x017F;on vor. Glu&#x0364;cklicherwei&#x017F;e ward er die-<lb/>
&#x017F;es nicht einmal gewahr; denn das Fra&#x0364;ulein ver-<lb/>
&#x017F;tand nicht allein die Kun&#x017F;t &#x017F;ehr wohl, &#x017F;ich mit mehr<lb/>
als Einem Anbeter zu unterhalten, &#x017F;ondern der Ober&#x017F;te,<lb/>
ein feiner Weltmann, der alle Dinge &#x017F;o zu nehmen<lb/>
wußte, wie &#x017F;ie waren, wollte auch nicht um&#x017F;on&#x017F;t<lb/>
mit einem ihm &#x017F;o neuen Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe, als ein Deut&#x017F;cher<lb/>
Poet war, vierzehn Tage lang in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft ge-<lb/>
we&#x017F;en &#x017F;eyn. Er hatte &#x017F;ich, &#x017F;chon &#x017F;eit einiger Zeit, in<lb/>
der am Hofe &#x017F;o nu&#x0364;tzlichen Kun&#x017F;t geu&#x0364;bt, &#x017F;ich anzu&#x017F;tel-<lb/>
len, als ob er jedes Ding ver&#x017F;tehe oder daran An-<lb/>
theil nehme, was er zu ver&#x017F;tehen oder woran er An-<lb/>
theil zu nehmen &#x017F;cheinen wollte. Die&#x017F;e von vielen<lb/>
Hofleuten fu&#x0364;r ein großes politi&#x017F;ches Geheimniß ge-<lb/>
achtete Kun&#x017F;t be&#x017F;teht, im Grunde, bloß in einigen<lb/>
Geberden und kahlen Gemein&#x017F;pru&#x0364;chen, die, wie in<lb/>
manchen La&#x0364;ndern geringhaltige Mu&#x0364;nze, am Hofe<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fu&#x0364;r</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0168] ſechſen, hatte einen Laͤufer und vier Lakaien, alles Dinge, die ihm, bey einem jungen Fraͤulein nach der Welt, einen großen Vorzug vor dem armen Saͤug- ling zuwegebringen mußten, der ihm, außer einer klei- nen netten geſchniegelten Perſon, einem geringen An- fange von Weltmanieren, und vielen Gedichten, nichts entgegen zu ſetzen hatte. Saͤugling ſtellte alſo von dem Augenblicke an, da der Oberſte erſchien, nur die zweyte Perſon vor. Gluͤcklicherweiſe ward er die- ſes nicht einmal gewahr; denn das Fraͤulein ver- ſtand nicht allein die Kunſt ſehr wohl, ſich mit mehr als Einem Anbeter zu unterhalten, ſondern der Oberſte, ein feiner Weltmann, der alle Dinge ſo zu nehmen wußte, wie ſie waren, wollte auch nicht umſonſt mit einem ihm ſo neuen Geſchoͤpfe, als ein Deutſcher Poet war, vierzehn Tage lang in Geſellſchaft ge- weſen ſeyn. Er hatte ſich, ſchon ſeit einiger Zeit, in der am Hofe ſo nuͤtzlichen Kunſt geuͤbt, ſich anzuſtel- len, als ob er jedes Ding verſtehe oder daran An- theil nehme, was er zu verſtehen oder woran er An- theil zu nehmen ſcheinen wollte. Dieſe von vielen Hofleuten fuͤr ein großes politiſches Geheimniß ge- achtete Kunſt beſteht, im Grunde, bloß in einigen Geberden und kahlen Gemeinſpruͤchen, die, wie in manchen Laͤndern geringhaltige Muͤnze, am Hofe fuͤr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/168
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/168>, abgerufen am 25.11.2024.