Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite



könnte, erröthete sie, als vor einem ihr unanständl-
gen Schritte. Sie klagte wieder über die Unmöglich-
keit von ihm Nachricht zu erhalten; dann fiel ihr
das Versprechen ein, das sie der Frau von Hohen-
auf
gethan hatte, alle Verbindung mit Säuglingen
aufzuheben: und dann entschloß sie sich, ihn völlig
zu vergessen. Jndem sie aber diesen Entschluß recht zu
befestigen suchte, ward sein Bild unvermerkt in ihrer
Einbildungskraft lebhafter, und sie vernichtete ihren
Vorsatz, selbst indem sie ihn ausführen wollte.

Säugling, auf seiner Universität, zerbrach sich
nicht weniger den Kopf über Marianens Zustand.
Er hatte vermittelst des Kammermädchens nichts
weiter erfahren können, als daß Mariane in der
Nacht in einem Wagen wäre weggebracht worden.
Er spannte seine ganze Einbildungskraft an, um zu
muthmaßen, wohin sie gerathen sey; aber vergeb-
lich. Er mußte sich begnügen, an ihr geliebtes Schat-
tenbild die zärtlichsten Seufzer abzusenden. So ver-
gieng der Winter damit, daß er an Marianen
dachte, ihren Namen, in Ermanglung eines Baums,
in sein Schreibepult schnitt, wenn er sie besingen
wollte, und über beides von Rambolden geschraubt
ward.

Jm



koͤnnte, erroͤthete ſie, als vor einem ihr unanſtaͤndl-
gen Schritte. Sie klagte wieder uͤber die Unmoͤglich-
keit von ihm Nachricht zu erhalten; dann fiel ihr
das Verſprechen ein, das ſie der Frau von Hohen-
auf
gethan hatte, alle Verbindung mit Saͤuglingen
aufzuheben: und dann entſchloß ſie ſich, ihn voͤllig
zu vergeſſen. Jndem ſie aber dieſen Entſchluß recht zu
befeſtigen ſuchte, ward ſein Bild unvermerkt in ihrer
Einbildungskraft lebhafter, und ſie vernichtete ihren
Vorſatz, ſelbſt indem ſie ihn ausfuͤhren wollte.

Saͤugling, auf ſeiner Univerſitaͤt, zerbrach ſich
nicht weniger den Kopf uͤber Marianens Zuſtand.
Er hatte vermittelſt des Kammermaͤdchens nichts
weiter erfahren koͤnnen, als daß Mariane in der
Nacht in einem Wagen waͤre weggebracht worden.
Er ſpannte ſeine ganze Einbildungskraft an, um zu
muthmaßen, wohin ſie gerathen ſey; aber vergeb-
lich. Er mußte ſich begnuͤgen, an ihr geliebtes Schat-
tenbild die zaͤrtlichſten Seufzer abzuſenden. So ver-
gieng der Winter damit, daß er an Marianen
dachte, ihren Namen, in Ermanglung eines Baums,
in ſein Schreibepult ſchnitt, wenn er ſie beſingen
wollte, und uͤber beides von Rambolden geſchraubt
ward.

Jm
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0156" n="146"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
ko&#x0364;nnte, erro&#x0364;thete &#x017F;ie, als vor einem ihr unan&#x017F;ta&#x0364;ndl-<lb/>
gen Schritte. Sie klagte wieder u&#x0364;ber die Unmo&#x0364;glich-<lb/>
keit von ihm Nachricht zu erhalten; dann fiel ihr<lb/>
das Ver&#x017F;prechen ein, das &#x017F;ie der Frau von <hi rendition="#fr">Hohen-<lb/>
auf</hi> gethan hatte, alle Verbindung mit <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;uglingen</hi><lb/>
aufzuheben: und dann ent&#x017F;chloß &#x017F;ie &#x017F;ich, ihn vo&#x0364;llig<lb/>
zu verge&#x017F;&#x017F;en. Jndem &#x017F;ie aber die&#x017F;en Ent&#x017F;chluß recht zu<lb/>
befe&#x017F;tigen &#x017F;uchte, ward &#x017F;ein Bild unvermerkt in ihrer<lb/>
Einbildungskraft lebhafter, und &#x017F;ie vernichtete ihren<lb/>
Vor&#x017F;atz, &#x017F;elb&#x017F;t indem &#x017F;ie ihn ausfu&#x0364;hren wollte.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ugling,</hi> auf &#x017F;einer Univer&#x017F;ita&#x0364;t, zerbrach &#x017F;ich<lb/>
nicht weniger den Kopf u&#x0364;ber <hi rendition="#fr">Marianens</hi> Zu&#x017F;tand.<lb/>
Er hatte vermittel&#x017F;t des Kammerma&#x0364;dchens nichts<lb/>
weiter erfahren ko&#x0364;nnen, als daß <hi rendition="#fr">Mariane</hi> in der<lb/>
Nacht in einem Wagen wa&#x0364;re weggebracht worden.<lb/>
Er &#x017F;pannte &#x017F;eine ganze Einbildungskraft an, um zu<lb/>
muthmaßen, wohin &#x017F;ie gerathen &#x017F;ey; aber vergeb-<lb/>
lich. Er mußte &#x017F;ich begnu&#x0364;gen, an ihr geliebtes Schat-<lb/>
tenbild die za&#x0364;rtlich&#x017F;ten Seufzer abzu&#x017F;enden. So ver-<lb/>
gieng der Winter damit, daß er an <hi rendition="#fr">Marianen</hi><lb/>
dachte, ihren Namen, in Ermanglung eines Baums,<lb/>
in &#x017F;ein Schreibepult &#x017F;chnitt, wenn er &#x017F;ie be&#x017F;ingen<lb/>
wollte, und u&#x0364;ber beides von <hi rendition="#fr">Rambolden</hi> ge&#x017F;chraubt<lb/>
ward.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Jm</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0156] koͤnnte, erroͤthete ſie, als vor einem ihr unanſtaͤndl- gen Schritte. Sie klagte wieder uͤber die Unmoͤglich- keit von ihm Nachricht zu erhalten; dann fiel ihr das Verſprechen ein, das ſie der Frau von Hohen- auf gethan hatte, alle Verbindung mit Saͤuglingen aufzuheben: und dann entſchloß ſie ſich, ihn voͤllig zu vergeſſen. Jndem ſie aber dieſen Entſchluß recht zu befeſtigen ſuchte, ward ſein Bild unvermerkt in ihrer Einbildungskraft lebhafter, und ſie vernichtete ihren Vorſatz, ſelbſt indem ſie ihn ausfuͤhren wollte. Saͤugling, auf ſeiner Univerſitaͤt, zerbrach ſich nicht weniger den Kopf uͤber Marianens Zuſtand. Er hatte vermittelſt des Kammermaͤdchens nichts weiter erfahren koͤnnen, als daß Mariane in der Nacht in einem Wagen waͤre weggebracht worden. Er ſpannte ſeine ganze Einbildungskraft an, um zu muthmaßen, wohin ſie gerathen ſey; aber vergeb- lich. Er mußte ſich begnuͤgen, an ihr geliebtes Schat- tenbild die zaͤrtlichſten Seufzer abzuſenden. So ver- gieng der Winter damit, daß er an Marianen dachte, ihren Namen, in Ermanglung eines Baums, in ſein Schreibepult ſchnitt, wenn er ſie beſingen wollte, und uͤber beides von Rambolden geſchraubt ward. Jm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/156
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/156>, abgerufen am 24.11.2024.