Mariane auf ihrer Seite, lebte sehr glücklich Die Gräfinn von *** verbannte aus ihrer Gesell- schaft alle Art von Dienst; sie wollte eine Freundinn haben. So verflossen die Wintermonathe unter ge- meinschaftlichen Arbeiten, Lektur und Unterhaltung. Es ist leicht zu erachten, daß Marianen der Um- gang mit einer Dame, die so viel Verstand mit so viel Erfahrung und Weltkenntniß verknüpfte, unge- mein lehrreich gewesen seyn müsse. Die von der Grä- finn sehr wohl gewählte Lektur trug das ihrige dazu bey; und obgleich Mariane dadurch belesener ward, so wußte sie die Gräfinn doch, durch feinen Scherz, von der kleinen Thorheit ihre Belesenheit in Gesellschaft zu zeigen, in kurzem ganz zu heilen.
Die einzige Störung der Reihe von sanften Ver- gnügungen, in denen Mariane lebte, war das An- denken an Säuglingen, und vielleicht war eine solche Störung einem jungen und lebhaften Frauenzimmer behaglich, weil sie die Einförmigkeit ihrer Empfindungen mannichfaltiger machte. Sie dachte sehr| oft an den schnellen Abschied; sie war zu- weilen ungehalten, daß er ihr keine Nachricht von sich gebe; dann überlegte sie wieder, daß er ihren Aufenthalt nicht wissen würde; und indem sie ganz leise den Gedanken dachte, daß sie an ihn schreiben
könnte,
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Mariane auf ihrer Seite, lebte ſehr gluͤcklich Die Graͤfinn von *** verbannte aus ihrer Geſell- ſchaft alle Art von Dienſt; ſie wollte eine Freundinn haben. So verfloſſen die Wintermonathe unter ge- meinſchaftlichen Arbeiten, Lektur und Unterhaltung. Es iſt leicht zu erachten, daß Marianen der Um- gang mit einer Dame, die ſo viel Verſtand mit ſo viel Erfahrung und Weltkenntniß verknuͤpfte, unge- mein lehrreich geweſen ſeyn muͤſſe. Die von der Graͤ- finn ſehr wohl gewaͤhlte Lektur trug das ihrige dazu bey; und obgleich Mariane dadurch beleſener ward, ſo wußte ſie die Graͤfinn doch, durch feinen Scherz, von der kleinen Thorheit ihre Beleſenheit in Geſellſchaft zu zeigen, in kurzem ganz zu heilen.
Die einzige Stoͤrung der Reihe von ſanften Ver- gnuͤgungen, in denen Mariane lebte, war das An- denken an Saͤuglingen, und vielleicht war eine ſolche Stoͤrung einem jungen und lebhaften Frauenzimmer behaglich, weil ſie die Einfoͤrmigkeit ihrer Empfindungen mannichfaltiger machte. Sie dachte ſehr| oft an den ſchnellen Abſchied; ſie war zu- weilen ungehalten, daß er ihr keine Nachricht von ſich gebe; dann uͤberlegte ſie wieder, daß er ihren Aufenthalt nicht wiſſen wuͤrde; und indem ſie ganz leiſe den Gedanken dachte, daß ſie an ihn ſchreiben
koͤnnte,
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Mariane auf ihrer Seite, lebte ſehr gluͤcklich
Die Graͤfinn von *** verbannte aus ihrer Geſell-
ſchaft alle Art von Dienſt; ſie wollte eine Freundinn
haben. So verfloſſen die Wintermonathe unter ge-
meinſchaftlichen Arbeiten, Lektur und Unterhaltung.
Es iſt leicht zu erachten, daß Marianen der Um-
gang mit einer Dame, die ſo viel Verſtand mit ſo
viel Erfahrung und Weltkenntniß verknuͤpfte, unge-
mein lehrreich geweſen ſeyn muͤſſe. Die von der Graͤ-
finn ſehr wohl gewaͤhlte Lektur trug das ihrige dazu
bey; und obgleich Mariane dadurch beleſener ward,
ſo wußte ſie die Graͤfinn doch, durch feinen Scherz, von
der kleinen Thorheit ihre Beleſenheit in Geſellſchaft
zu zeigen, in kurzem ganz zu heilen.
Die einzige Stoͤrung der Reihe von ſanften Ver-
gnuͤgungen, in denen Mariane lebte, war das An-
denken an Saͤuglingen, und vielleicht war eine
ſolche Stoͤrung einem jungen und lebhaften
Frauenzimmer behaglich, weil ſie die Einfoͤrmigkeit
ihrer Empfindungen mannichfaltiger machte. Sie
dachte ſehr| oft an den ſchnellen Abſchied; ſie war zu-
weilen ungehalten, daß er ihr keine Nachricht von
ſich gebe; dann uͤberlegte ſie wieder, daß er ihren
Aufenthalt nicht wiſſen wuͤrde; und indem ſie ganz
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/155>, abgerufen am 05.07.2024.
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