Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite



deren Handreichung sie selbst nöthig hatte. Aber hier
merckte sie, daß ihr Körper schwächer war, als ihr
Geist. Sie fiel ermattet nieder, und konnte nur
noch blos durch Zureden Trost geben. So brachte
diese unglückliche Familie eine Nacht und einen Tag
zu, ihr Elend ganz zu empfinden, und einen sehr
kleinen Theil davon durch wechselseitigen Trost zu
erleichtern. Am Ende dieses Tages fühlte Wilhel-
mine
schon, daß sie mehr Kräfte hatte anwenden
wollen als sie besaß, sie fiel Abends in eine außeror-
dentliche Ermattung, und in ein mit vieler Hitze ver-
knüpftes Fieber. Kaum konnte sie gegen Mitternacht
einen unruhigen unerquickenden Schlaf genießen.
Sie brachte den folgenden Tag in einem schmachten-
den Zustande zu. Gegen Abend ergriff sie das Fie-
ber mit viel stärkerer Hitze, sie erwachte des andern
Morgens bey Sonnenaufgang äusserst entkräftet, und
empfand etwas, dergleichen sie noch nie empfunden
hatte. Sie legte ihre Hand in die Hand ihres Man-
nes, der nebst Marianen die ganze Nacht über
nicht von ihrem Bette gewichen war, und sagte mit
schwacher Stimme: "Jch sterbe, ich fühle es. Ver-
"geben Sie mir es, mein lieber Mann, daß mein
"unbedachtsamer Enthusiasmus, den ich oft genug be-
"reuet habe, die unerwartete Folge gehabt hat, Sie

"und
Erster Theil. E



deren Handreichung ſie ſelbſt noͤthig hatte. Aber hier
merckte ſie, daß ihr Koͤrper ſchwaͤcher war, als ihr
Geiſt. Sie fiel ermattet nieder, und konnte nur
noch blos durch Zureden Troſt geben. So brachte
dieſe ungluͤckliche Familie eine Nacht und einen Tag
zu, ihr Elend ganz zu empfinden, und einen ſehr
kleinen Theil davon durch wechſelſeitigen Troſt zu
erleichtern. Am Ende dieſes Tages fuͤhlte Wilhel-
mine
ſchon, daß ſie mehr Kraͤfte hatte anwenden
wollen als ſie beſaß, ſie fiel Abends in eine außeror-
dentliche Ermattung, und in ein mit vieler Hitze ver-
knuͤpftes Fieber. Kaum konnte ſie gegen Mitternacht
einen unruhigen unerquickenden Schlaf genießen.
Sie brachte den folgenden Tag in einem ſchmachten-
den Zuſtande zu. Gegen Abend ergriff ſie das Fie-
ber mit viel ſtaͤrkerer Hitze, ſie erwachte des andern
Morgens bey Sonnenaufgang aͤuſſerſt entkraͤftet, und
empfand etwas, dergleichen ſie noch nie empfunden
hatte. Sie legte ihre Hand in die Hand ihres Man-
nes, der nebſt Marianen die ganze Nacht uͤber
nicht von ihrem Bette gewichen war, und ſagte mit
ſchwacher Stimme: „Jch ſterbe, ich fuͤhle es. Ver-
„geben Sie mir es, mein lieber Mann, daß mein
„unbedachtſamer Enthuſiasmus, den ich oft genug be-
„reuet habe, die unerwartete Folge gehabt hat, Sie

„und
Erſter Theil. E
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0087" n="65"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
deren Handreichung &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t no&#x0364;thig hatte. Aber hier<lb/>
merckte &#x017F;ie, daß ihr Ko&#x0364;rper &#x017F;chwa&#x0364;cher war, als ihr<lb/>
Gei&#x017F;t. Sie fiel ermattet nieder, und konnte nur<lb/>
noch blos durch Zureden Tro&#x017F;t geben. So brachte<lb/>
die&#x017F;e unglu&#x0364;ckliche Familie eine Nacht und einen Tag<lb/>
zu, ihr Elend ganz zu empfinden, und einen &#x017F;ehr<lb/>
kleinen Theil davon durch wech&#x017F;el&#x017F;eitigen Tro&#x017F;t zu<lb/>
erleichtern. Am Ende die&#x017F;es Tages fu&#x0364;hlte <hi rendition="#fr">Wilhel-<lb/>
mine</hi> &#x017F;chon, daß &#x017F;ie mehr Kra&#x0364;fte hatte anwenden<lb/>
wollen als &#x017F;ie be&#x017F;aß, &#x017F;ie fiel Abends in eine außeror-<lb/>
dentliche Ermattung, und in ein mit vieler Hitze ver-<lb/>
knu&#x0364;pftes Fieber. Kaum konnte &#x017F;ie gegen Mitternacht<lb/>
einen unruhigen unerquickenden Schlaf genießen.<lb/>
Sie brachte den folgenden Tag in einem &#x017F;chmachten-<lb/>
den Zu&#x017F;tande zu. Gegen Abend ergriff &#x017F;ie das Fie-<lb/>
ber mit viel &#x017F;ta&#x0364;rkerer Hitze, &#x017F;ie erwachte des andern<lb/>
Morgens bey Sonnenaufgang a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;t entkra&#x0364;ftet, und<lb/>
empfand etwas, dergleichen &#x017F;ie noch nie empfunden<lb/>
hatte. Sie legte ihre Hand in die Hand ihres Man-<lb/>
nes, der neb&#x017F;t <hi rendition="#fr">Marianen</hi> die ganze Nacht u&#x0364;ber<lb/>
nicht von ihrem Bette gewichen war, und &#x017F;agte mit<lb/>
&#x017F;chwacher Stimme: &#x201E;Jch &#x017F;terbe, ich fu&#x0364;hle es. Ver-<lb/>
&#x201E;geben Sie mir es, mein lieber Mann, daß mein<lb/>
&#x201E;unbedacht&#x017F;amer Enthu&#x017F;iasmus, den ich oft genug be-<lb/>
&#x201E;reuet habe, die unerwartete Folge gehabt hat, Sie<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Er&#x017F;ter Theil.</hi> E</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x201E;und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0087] deren Handreichung ſie ſelbſt noͤthig hatte. Aber hier merckte ſie, daß ihr Koͤrper ſchwaͤcher war, als ihr Geiſt. Sie fiel ermattet nieder, und konnte nur noch blos durch Zureden Troſt geben. So brachte dieſe ungluͤckliche Familie eine Nacht und einen Tag zu, ihr Elend ganz zu empfinden, und einen ſehr kleinen Theil davon durch wechſelſeitigen Troſt zu erleichtern. Am Ende dieſes Tages fuͤhlte Wilhel- mine ſchon, daß ſie mehr Kraͤfte hatte anwenden wollen als ſie beſaß, ſie fiel Abends in eine außeror- dentliche Ermattung, und in ein mit vieler Hitze ver- knuͤpftes Fieber. Kaum konnte ſie gegen Mitternacht einen unruhigen unerquickenden Schlaf genießen. Sie brachte den folgenden Tag in einem ſchmachten- den Zuſtande zu. Gegen Abend ergriff ſie das Fie- ber mit viel ſtaͤrkerer Hitze, ſie erwachte des andern Morgens bey Sonnenaufgang aͤuſſerſt entkraͤftet, und empfand etwas, dergleichen ſie noch nie empfunden hatte. Sie legte ihre Hand in die Hand ihres Man- nes, der nebſt Marianen die ganze Nacht uͤber nicht von ihrem Bette gewichen war, und ſagte mit ſchwacher Stimme: „Jch ſterbe, ich fuͤhle es. Ver- „geben Sie mir es, mein lieber Mann, daß mein „unbedachtſamer Enthuſiasmus, den ich oft genug be- „reuet habe, die unerwartete Folge gehabt hat, Sie „und Erſter Theil. E

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/87
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/87>, abgerufen am 22.11.2024.