Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite



rechte Schulter, lächelte über ein paar vorwärts ge-
worfene Lippen, blinzelte mit ihren grauen roth unter-
laufenen Augen, und sagte:

"Sie sind sehr gütig Hr. von Hohenauf, aber
"wahr ists, daß ich eine gewisse Decence in meinem Be-
"tragen zu beobachten suche, die Personen vom Stande
"eigen ist. Hiernach, Mamsell, muß sie meine Fräu-
"lein auch bilden, daß sie sich niemals vergessen, sondern
"beständig vor Augen haben wer sie sind. Dies, Mam-
"sell, muß Sie auch niemals aus den Augen lassen, son-
"dern bedenken, daß sie in meinen Fräulein, Personen
"von Stande vor sich hat. Sie muß ihnen beständig
"mit Nachsicht begegnen, ihnen niemals befehlen, noch
"weniger gegen sie strenge oder unfreundlich seyn, wenn
"sie auch ein wenig Lebhaftigkeit zeigen; denn Jugend
"hat keine Tugend. Es ist genug, wenn sie nur die
"Decence und ihre Geburt nie vergessen. Nächstdem
"kann sie ihnen oft gute französische Bücher geben,
"daß sich der Geist aufklärt. Wir lassen deshalb mo-
"nathlich den Mercure de France kommen, darin ste-
"hen die neuesten Enigmes und Logogryphes, wie sie
"am Hofe zu Versailles eben gänge und gäbe sind,
"auch schöne Poesies fugitives, davon müssen die Fräu-
"lein urtheilen lernen, damit sie, wenn künftig ihr
"Amant ihnen ein Madrigal a Silvie mit einem galanten

"Envoy
L 4



rechte Schulter, laͤchelte uͤber ein paar vorwaͤrts ge-
worfene Lippen, blinzelte mit ihren grauen roth unter-
laufenen Augen, und ſagte:

„Sie ſind ſehr guͤtig Hr. von Hohenauf, aber
„wahr iſts, daß ich eine gewiſſe Decence in meinem Be-
„tragen zu beobachten ſuche, die Perſonen vom Stande
„eigen iſt. Hiernach, Mamſell, muß ſie meine Fraͤu-
„lein auch bilden, daß ſie ſich niemals vergeſſen, ſondern
„beſtaͤndig vor Augen haben wer ſie ſind. Dies, Mam-
„ſell, muß Sie auch niemals aus den Augen laſſen, ſon-
„dern bedenken, daß ſie in meinen Fraͤulein, Perſonen
„von Stande vor ſich hat. Sie muß ihnen beſtaͤndig
„mit Nachſicht begegnen, ihnen niemals befehlen, noch
„weniger gegen ſie ſtrenge oder unfreundlich ſeyn, wenn
„ſie auch ein wenig Lebhaftigkeit zeigen; denn Jugend
„hat keine Tugend. Es iſt genug, wenn ſie nur die
Decence und ihre Geburt nie vergeſſen. Naͤchſtdem
„kann ſie ihnen oft gute franzoͤſiſche Buͤcher geben,
„daß ſich der Geiſt aufklaͤrt. Wir laſſen deshalb mo-
„nathlich den Mercure de France kommen, darin ſte-
„hen die neueſten Enigmes und Logogryphes, wie ſie
„am Hofe zu Verſailles eben gaͤnge und gaͤbe ſind,
„auch ſchoͤne Poeſies fugitives, davon muͤſſen die Fraͤu-
„lein urtheilen lernen, damit ſie, wenn kuͤnftig ihr
Amant ihnen ein Madrigal à Silvie mit einem galanten

Envoy
L 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0193" n="167"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
rechte Schulter, la&#x0364;chelte u&#x0364;ber ein paar vorwa&#x0364;rts ge-<lb/>
worfene Lippen, blinzelte mit ihren grauen roth unter-<lb/>
laufenen Augen, und &#x017F;agte:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Sie &#x017F;ind &#x017F;ehr gu&#x0364;tig Hr. <hi rendition="#fr">von Hohenauf,</hi> aber<lb/>
&#x201E;wahr i&#x017F;ts, daß ich eine gewi&#x017F;&#x017F;e <hi rendition="#aq">Decence</hi> in meinem Be-<lb/>
&#x201E;tragen zu beobachten &#x017F;uche, die Per&#x017F;onen vom Stande<lb/>
&#x201E;eigen i&#x017F;t. Hiernach, Mam&#x017F;ell, muß &#x017F;ie meine Fra&#x0364;u-<lb/>
&#x201E;lein auch bilden, daß &#x017F;ie &#x017F;ich niemals verge&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ondern<lb/>
&#x201E;be&#x017F;ta&#x0364;ndig vor Augen haben wer &#x017F;ie &#x017F;ind. Dies, Mam-<lb/>
&#x201E;&#x017F;ell, muß Sie auch niemals aus den Augen la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;on-<lb/>
&#x201E;dern bedenken, daß &#x017F;ie in meinen Fra&#x0364;ulein, Per&#x017F;onen<lb/>
&#x201E;von Stande vor &#x017F;ich hat. Sie muß ihnen be&#x017F;ta&#x0364;ndig<lb/>
&#x201E;mit Nach&#x017F;icht begegnen, ihnen niemals befehlen, noch<lb/>
&#x201E;weniger gegen &#x017F;ie &#x017F;trenge oder unfreundlich &#x017F;eyn, wenn<lb/>
&#x201E;&#x017F;ie auch ein wenig Lebhaftigkeit zeigen; denn Jugend<lb/>
&#x201E;hat keine Tugend. Es i&#x017F;t genug, wenn &#x017F;ie nur die<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#aq">Decence</hi> und ihre Geburt nie verge&#x017F;&#x017F;en. Na&#x0364;ch&#x017F;tdem<lb/>
&#x201E;kann &#x017F;ie ihnen oft gute franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che Bu&#x0364;cher geben,<lb/>
&#x201E;daß &#x017F;ich der Gei&#x017F;t aufkla&#x0364;rt. Wir la&#x017F;&#x017F;en deshalb mo-<lb/>
&#x201E;nathlich den <hi rendition="#aq">Mercure de France</hi> kommen, darin &#x017F;te-<lb/>
&#x201E;hen die neue&#x017F;ten <hi rendition="#aq">Enigmes</hi> und <hi rendition="#aq">Logogryphes,</hi> wie &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;am Hofe zu Ver&#x017F;ailles eben ga&#x0364;nge und ga&#x0364;be &#x017F;ind,<lb/>
&#x201E;auch &#x017F;cho&#x0364;ne <hi rendition="#aq">Poe&#x017F;ies fugitives,</hi> davon mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en die Fra&#x0364;u-<lb/>
&#x201E;lein urtheilen lernen, damit &#x017F;ie, wenn ku&#x0364;nftig ihr<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#aq">Amant</hi> ihnen ein <hi rendition="#aq">Madrigal à Silvie</hi> mit einem galanten<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 4</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x201E;<hi rendition="#aq">Envoy</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0193] rechte Schulter, laͤchelte uͤber ein paar vorwaͤrts ge- worfene Lippen, blinzelte mit ihren grauen roth unter- laufenen Augen, und ſagte: „Sie ſind ſehr guͤtig Hr. von Hohenauf, aber „wahr iſts, daß ich eine gewiſſe Decence in meinem Be- „tragen zu beobachten ſuche, die Perſonen vom Stande „eigen iſt. Hiernach, Mamſell, muß ſie meine Fraͤu- „lein auch bilden, daß ſie ſich niemals vergeſſen, ſondern „beſtaͤndig vor Augen haben wer ſie ſind. Dies, Mam- „ſell, muß Sie auch niemals aus den Augen laſſen, ſon- „dern bedenken, daß ſie in meinen Fraͤulein, Perſonen „von Stande vor ſich hat. Sie muß ihnen beſtaͤndig „mit Nachſicht begegnen, ihnen niemals befehlen, noch „weniger gegen ſie ſtrenge oder unfreundlich ſeyn, wenn „ſie auch ein wenig Lebhaftigkeit zeigen; denn Jugend „hat keine Tugend. Es iſt genug, wenn ſie nur die „Decence und ihre Geburt nie vergeſſen. Naͤchſtdem „kann ſie ihnen oft gute franzoͤſiſche Buͤcher geben, „daß ſich der Geiſt aufklaͤrt. Wir laſſen deshalb mo- „nathlich den Mercure de France kommen, darin ſte- „hen die neueſten Enigmes und Logogryphes, wie ſie „am Hofe zu Verſailles eben gaͤnge und gaͤbe ſind, „auch ſchoͤne Poeſies fugitives, davon muͤſſen die Fraͤu- „lein urtheilen lernen, damit ſie, wenn kuͤnftig ihr „Amant ihnen ein Madrigal à Silvie mit einem galanten „Envoy L 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/193
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/193>, abgerufen am 23.11.2024.