auf unsrer ganzen langen Runde trafen wir auf diese Weise nicht mehr, als 7 -- schreibe sieben Mann unter dem Gewehr!
So etwas überstieg alle unsre Gedanken und Begriffe! Wir erachteten es für dringende Noth- wendigkeit, dem Commandanten davon die schleu- nigste Anzeige zu machen, damit bessere Anstalt getroffen und Unglück verhütet würde. Der aber war längst aus seinem brennenden Hause geflüch- tet und hatte sich in das Posthaus einquartiert. Auch dort suchten wir ihn auf, und liessen ihm durch seine Ordonnanz hineinsagen: "Die Bür- ger-Patrouille wolle ihn sprechen, um etwas Hochwichtiges anzumelden." Wir empfiengen hierauf den Bescheid: "Der Herr Obrist habe sich bereits zur Ruhe begeben, und lasse sich heute nicht mehr sprechen." -- Was für eine unerhörte Seelenruhe bei einem Festungs-Commandanten, der den Feind vor den Thoren hat, und dessen Haus in vollen Flammen steht! Dieser Brand wurde übrigens gegen 3 Uhr Morgens gelöscht; wir Bürger setzten unsre Umgänge die ganze Nacht fort, und der Feind hielt sich ruhig. Leicht aber mag man ermessen, wie uns bei diesen Umstän- den zu Muthe war und welcher traurigen Zu- kunft wir entgegensahen.
Allein was war hier mit unserm stillen Grol- len und Jammern, oder auch mit lautem Mur- ren und Raisonniren geholfen? Hier mußte schnel- ler und nachdrücklicher Rath geschafft werden;
auf unſrer ganzen langen Runde trafen wir auf dieſe Weiſe nicht mehr, als 7 — ſchreibe ſieben Mann unter dem Gewehr!
So etwas uͤberſtieg alle unſre Gedanken und Begriffe! Wir erachteten es fuͤr dringende Noth- wendigkeit, dem Commandanten davon die ſchleu- nigſte Anzeige zu machen, damit beſſere Anſtalt getroffen und Ungluͤck verhuͤtet wuͤrde. Der aber war laͤngſt aus ſeinem brennenden Hauſe gefluͤch- tet und hatte ſich in das Poſthaus einquartiert. Auch dort ſuchten wir ihn auf, und lieſſen ihm durch ſeine Ordonnanz hineinſagen: „Die Buͤr- ger-Patrouille wolle ihn ſprechen, um etwas Hochwichtiges anzumelden.‟ Wir empfiengen hierauf den Beſcheid: „Der Herr Obriſt habe ſich bereits zur Ruhe begeben, und laſſe ſich heute nicht mehr ſprechen.‟ — Was fuͤr eine unerhoͤrte Seelenruhe bei einem Feſtungs-Commandanten, der den Feind vor den Thoren hat, und deſſen Haus in vollen Flammen ſteht! Dieſer Brand wurde uͤbrigens gegen 3 Uhr Morgens geloͤſcht; wir Buͤrger ſetzten unſre Umgaͤnge die ganze Nacht fort, und der Feind hielt ſich ruhig. Leicht aber mag man ermeſſen, wie uns bei dieſen Umſtaͤn- den zu Muthe war und welcher traurigen Zu- kunft wir entgegenſahen.
Allein was war hier mit unſerm ſtillen Grol- len und Jammern, oder auch mit lautem Mur- ren und Raiſonniren geholfen? Hier mußte ſchnel- ler und nachdruͤcklicher Rath geſchafft werden;
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auf unſrer ganzen langen Runde trafen wir auf
dieſe Weiſe nicht mehr, als 7 — ſchreibe ſieben
Mann unter dem Gewehr!
So etwas uͤberſtieg alle unſre Gedanken und
Begriffe! Wir erachteten es fuͤr dringende Noth-
wendigkeit, dem Commandanten davon die ſchleu-
nigſte Anzeige zu machen, damit beſſere Anſtalt
getroffen und Ungluͤck verhuͤtet wuͤrde. Der aber
war laͤngſt aus ſeinem brennenden Hauſe gefluͤch-
tet und hatte ſich in das Poſthaus einquartiert.
Auch dort ſuchten wir ihn auf, und lieſſen ihm
durch ſeine Ordonnanz hineinſagen: „Die Buͤr-
ger-Patrouille wolle ihn ſprechen, um etwas
Hochwichtiges anzumelden.‟ Wir empfiengen
hierauf den Beſcheid: „Der Herr Obriſt habe
ſich bereits zur Ruhe begeben, und laſſe ſich heute
nicht mehr ſprechen.‟ — Was fuͤr eine unerhoͤrte
Seelenruhe bei einem Feſtungs-Commandanten,
der den Feind vor den Thoren hat, und deſſen
Haus in vollen Flammen ſteht! Dieſer Brand
wurde uͤbrigens gegen 3 Uhr Morgens geloͤſcht;
wir Buͤrger ſetzten unſre Umgaͤnge die ganze Nacht
fort, und der Feind hielt ſich ruhig. Leicht aber
mag man ermeſſen, wie uns bei dieſen Umſtaͤn-
den zu Muthe war und welcher traurigen Zu-
kunft wir entgegenſahen.
Allein was war hier mit unſerm ſtillen Grol-
len und Jammern, oder auch mit lautem Mur-
ren und Raiſonniren geholfen? Hier mußte ſchnel-
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/91>, abgerufen am 16.02.2025.
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