Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

am gerathensten seyn werde, mir nichts mit ihm
zu schaffen zu machen.

Freilich aber machte mich Alles, was ich
rings um mich sehen und hören mußte, stündlich
nur noch unruhiger. Nirgends war ein Trieb
und Ernst, zu thun, was Zeit, Noth und Um-
stände erforderten! Um den Magistrat und seine
Anstalten stand es eben so kläglich. Es geschah
entweder gar nichts, oder es geschah auf eine ver-
kehrte Weise; und wer etwa noch guten und kräf-
tigen Willen hatte, ward nicht gehört. Mit Ei-
nem Worte: Man ließ es drauf ankommen, was
daraus werden wollte; und es war an den Fin-
gern abzuzählen, daß unser Untergang das Facit
von der heillosen Bethörung seyn würde. Mir
blutete das Herz, wenn ich mir unsern Zustand
betrachtete; und ich fühlte mich je länger je we-
niger dazu gemacht, dies klägliche Schauspiel
gelassen mit anzusehen.

Jn Colberg -- das sah ich wohl -- war
auf keine Hülfe und keinen Beistand mehr zu
hoffen; geholfen aber mußte werden! Jch ent-
schloß mich also, in Gottes Namen und der win-
terlichen Jahrszeit zum Trotz, unsern guten un-
glücklichen, so schlecht bedienten König unmittel-
bar selbst in Königsberg, Memel, oder wo ich
ihn finden würde, aufzusuchen und ihm Colbergs
Lage und Noth vorstellig zu machen. Von dem
Kaufmann Höpner miethete ich ein großes Boot,
unter dem Vorwande, damit nach der Jnsel

(4*)

am gerathenſten ſeyn werde, mir nichts mit ihm
zu ſchaffen zu machen.

Freilich aber machte mich Alles, was ich
rings um mich ſehen und hoͤren mußte, ſtuͤndlich
nur noch unruhiger. Nirgends war ein Trieb
und Ernſt, zu thun, was Zeit, Noth und Um-
ſtaͤnde erforderten! Um den Magiſtrat und ſeine
Anſtalten ſtand es eben ſo klaͤglich. Es geſchah
entweder gar nichts, oder es geſchah auf eine ver-
kehrte Weiſe; und wer etwa noch guten und kraͤf-
tigen Willen hatte, ward nicht gehoͤrt. Mit Ei-
nem Worte: Man ließ es drauf ankommen, was
daraus werden wollte; und es war an den Fin-
gern abzuzaͤhlen, daß unſer Untergang das Facit
von der heilloſen Bethoͤrung ſeyn wuͤrde. Mir
blutete das Herz, wenn ich mir unſern Zuſtand
betrachtete; und ich fuͤhlte mich je laͤnger je we-
niger dazu gemacht, dies klaͤgliche Schauſpiel
gelaſſen mit anzuſehen.

Jn Colberg — das ſah ich wohl — war
auf keine Huͤlfe und keinen Beiſtand mehr zu
hoffen; geholfen aber mußte werden! Jch ent-
ſchloß mich alſo, in Gottes Namen und der win-
terlichen Jahrszeit zum Trotz, unſern guten un-
gluͤcklichen, ſo ſchlecht bedienten Koͤnig unmittel-
bar ſelbſt in Koͤnigsberg, Memel, oder wo ich
ihn finden wuͤrde, aufzuſuchen und ihm Colbergs
Lage und Noth vorſtellig zu machen. Von dem
Kaufmann Hoͤpner miethete ich ein großes Boot,
unter dem Vorwande, damit nach der Jnſel

(4*)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0067" n="51"/>
am gerathen&#x017F;ten &#x017F;eyn werde, mir nichts mit ihm<lb/>
zu &#x017F;chaffen zu machen.</p><lb/>
        <p>Freilich aber machte mich Alles, was ich<lb/>
rings um mich &#x017F;ehen und ho&#x0364;ren mußte, &#x017F;tu&#x0364;ndlich<lb/>
nur noch unruhiger. Nirgends war ein Trieb<lb/>
und Ern&#x017F;t, zu thun, was Zeit, Noth und Um-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde erforderten! Um den Magi&#x017F;trat und &#x017F;eine<lb/>
An&#x017F;talten &#x017F;tand es eben &#x017F;o kla&#x0364;glich. Es ge&#x017F;chah<lb/>
entweder gar nichts, oder es ge&#x017F;chah auf eine ver-<lb/>
kehrte Wei&#x017F;e; und wer etwa noch guten und kra&#x0364;f-<lb/>
tigen Willen hatte, ward nicht geho&#x0364;rt. Mit Ei-<lb/>
nem Worte: Man ließ es drauf ankommen, was<lb/>
daraus werden wollte; und es war an den Fin-<lb/>
gern abzuza&#x0364;hlen, daß un&#x017F;er Untergang das Facit<lb/>
von der heillo&#x017F;en Betho&#x0364;rung &#x017F;eyn wu&#x0364;rde. Mir<lb/>
blutete das Herz, wenn ich mir un&#x017F;ern Zu&#x017F;tand<lb/>
betrachtete; und ich fu&#x0364;hlte mich je la&#x0364;nger je we-<lb/>
niger dazu gemacht, dies kla&#x0364;gliche Schau&#x017F;piel<lb/>
gela&#x017F;&#x017F;en mit anzu&#x017F;ehen.</p><lb/>
        <p>Jn Colberg &#x2014; das &#x017F;ah ich wohl &#x2014; war<lb/>
auf keine Hu&#x0364;lfe und keinen Bei&#x017F;tand mehr zu<lb/>
hoffen; geholfen aber mußte werden! Jch ent-<lb/>
&#x017F;chloß mich al&#x017F;o, in Gottes Namen und der win-<lb/>
terlichen Jahrszeit zum Trotz, un&#x017F;ern guten un-<lb/>
glu&#x0364;cklichen, &#x017F;o &#x017F;chlecht bedienten Ko&#x0364;nig unmittel-<lb/>
bar &#x017F;elb&#x017F;t in Ko&#x0364;nigsberg, Memel, oder wo ich<lb/>
ihn finden wu&#x0364;rde, aufzu&#x017F;uchen und ihm Colbergs<lb/>
Lage und Noth vor&#x017F;tellig zu machen. Von dem<lb/>
Kaufmann Ho&#x0364;pner miethete ich ein großes Boot,<lb/>
unter dem Vorwande, damit nach der Jn&#x017F;el<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">(4*)</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0067] am gerathenſten ſeyn werde, mir nichts mit ihm zu ſchaffen zu machen. Freilich aber machte mich Alles, was ich rings um mich ſehen und hoͤren mußte, ſtuͤndlich nur noch unruhiger. Nirgends war ein Trieb und Ernſt, zu thun, was Zeit, Noth und Um- ſtaͤnde erforderten! Um den Magiſtrat und ſeine Anſtalten ſtand es eben ſo klaͤglich. Es geſchah entweder gar nichts, oder es geſchah auf eine ver- kehrte Weiſe; und wer etwa noch guten und kraͤf- tigen Willen hatte, ward nicht gehoͤrt. Mit Ei- nem Worte: Man ließ es drauf ankommen, was daraus werden wollte; und es war an den Fin- gern abzuzaͤhlen, daß unſer Untergang das Facit von der heilloſen Bethoͤrung ſeyn wuͤrde. Mir blutete das Herz, wenn ich mir unſern Zuſtand betrachtete; und ich fuͤhlte mich je laͤnger je we- niger dazu gemacht, dies klaͤgliche Schauſpiel gelaſſen mit anzuſehen. Jn Colberg — das ſah ich wohl — war auf keine Huͤlfe und keinen Beiſtand mehr zu hoffen; geholfen aber mußte werden! Jch ent- ſchloß mich alſo, in Gottes Namen und der win- terlichen Jahrszeit zum Trotz, unſern guten un- gluͤcklichen, ſo ſchlecht bedienten Koͤnig unmittel- bar ſelbſt in Koͤnigsberg, Memel, oder wo ich ihn finden wuͤrde, aufzuſuchen und ihm Colbergs Lage und Noth vorſtellig zu machen. Von dem Kaufmann Hoͤpner miethete ich ein großes Boot, unter dem Vorwande, damit nach der Jnſel (4*)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/67
Zitationshilfe: Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/67>, abgerufen am 06.05.2024.