den, hoch vom Grase überwachsen, und die dazu gehörigen Lavetten vermoderten in den Remisen. Rechnet man hiezu die unzureichende Zahl der Vertheidiger, so wie die unkriegerische Haltung derselben, (denn die tüchtigere Mannschaft war in's Feld gezogen) die allgemeine Entmuthung, welche noch täglich durch die herbeiströmenden Flüchtlinge und tausend sich kreuzende Unglücks- botschaften allstündlich genährt wurde, und den notorischen Mangel an den nöthigsten Bedürfnis- sen für den Fall einer Belagerung: so behaupte ich sicherlich nicht zuviel, wenn ich meyne, daß ein rascher kecker Anlauf in jenen ersten Tagen mehr als hinreichend gewesen wäre, den Com- mandanten in seinen eigenen Gedanken zu ent- schuldigen, daß er keinen ernstlichen Widerstand gewagt habe.
Dieser Commandant war damals der Obrist v. Loucadou; ein alter abgestumpfter Mann, der seit dem baierschen Erbfolge-Kriege, wo er ein Blockhaus gegen die Oestreicher muthig verthei- digt hatte, zu dem Rufe gekommen war, ein besonders tüchtiger Officier zu seyn. Späterhin hatt' er nur wenig Gelegenheit gehabt, seine Re- putation zu behaupten; und gegenwärtig war der Geist verflogen, oder hieng noch so blind an dem alten Herkommen, daß er sich in der neuen Zeit und Welt gar nicht zurechtfinden konnte. Das war nun ein großes Unglück für den Platz, der ihm anvertraut worden, und ein Jammer für
den, hoch vom Graſe uͤberwachſen, und die dazu gehoͤrigen Lavetten vermoderten in den Remiſen. Rechnet man hiezu die unzureichende Zahl der Vertheidiger, ſo wie die unkriegeriſche Haltung derſelben, (denn die tuͤchtigere Mannſchaft war in’s Feld gezogen) die allgemeine Entmuthung, welche noch taͤglich durch die herbeiſtroͤmenden Fluͤchtlinge und tauſend ſich kreuzende Ungluͤcks- botſchaften allſtuͤndlich genaͤhrt wurde, und den notoriſchen Mangel an den noͤthigſten Beduͤrfniſ- ſen fuͤr den Fall einer Belagerung: ſo behaupte ich ſicherlich nicht zuviel, wenn ich meyne, daß ein raſcher kecker Anlauf in jenen erſten Tagen mehr als hinreichend geweſen waͤre, den Com- mandanten in ſeinen eigenen Gedanken zu ent- ſchuldigen, daß er keinen ernſtlichen Widerſtand gewagt habe.
Dieſer Commandant war damals der Obriſt v. Loucadou; ein alter abgeſtumpfter Mann, der ſeit dem baierſchen Erbfolge-Kriege, wo er ein Blockhaus gegen die Oeſtreicher muthig verthei- digt hatte, zu dem Rufe gekommen war, ein beſonders tuͤchtiger Officier zu ſeyn. Spaͤterhin hatt’ er nur wenig Gelegenheit gehabt, ſeine Re- putation zu behaupten; und gegenwaͤrtig war der Geiſt verflogen, oder hieng noch ſo blind an dem alten Herkommen, daß er ſich in der neuen Zeit und Welt gar nicht zurechtfinden konnte. Das war nun ein großes Ungluͤck fuͤr den Platz, der ihm anvertraut worden, und ein Jammer fuͤr
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den, hoch vom Graſe uͤberwachſen, und die dazu
gehoͤrigen Lavetten vermoderten in den Remiſen.
Rechnet man hiezu die unzureichende Zahl der
Vertheidiger, ſo wie die unkriegeriſche Haltung
derſelben, (denn die tuͤchtigere Mannſchaft war
in’s Feld gezogen) die allgemeine Entmuthung,
welche noch taͤglich durch die herbeiſtroͤmenden
Fluͤchtlinge und tauſend ſich kreuzende Ungluͤcks-
botſchaften allſtuͤndlich genaͤhrt wurde, und den
notoriſchen Mangel an den noͤthigſten Beduͤrfniſ-
ſen fuͤr den Fall einer Belagerung: ſo behaupte
ich ſicherlich nicht zuviel, wenn ich meyne, daß
ein raſcher kecker Anlauf in jenen erſten Tagen
mehr als hinreichend geweſen waͤre, den Com-
mandanten in ſeinen eigenen Gedanken zu ent-
ſchuldigen, daß er keinen ernſtlichen Widerſtand
gewagt habe.
Dieſer Commandant war damals der Obriſt
v. Loucadou; ein alter abgeſtumpfter Mann, der
ſeit dem baierſchen Erbfolge-Kriege, wo er ein
Blockhaus gegen die Oeſtreicher muthig verthei-
digt hatte, zu dem Rufe gekommen war, ein
beſonders tuͤchtiger Officier zu ſeyn. Spaͤterhin
hatt’ er nur wenig Gelegenheit gehabt, ſeine Re-
putation zu behaupten; und gegenwaͤrtig war
der Geiſt verflogen, oder hieng noch ſo blind an
dem alten Herkommen, daß er ſich in der neuen
Zeit und Welt gar nicht zurechtfinden konnte.
Das war nun ein großes Ungluͤck fuͤr den Platz,
der ihm anvertraut worden, und ein Jammer fuͤr
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/57>, abgerufen am 16.02.2025.
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