steife Kerle waren, so siel das Erperiment so un- glücklich aus, daß der Eine gleichfalls kopfüber neben dem Glöckner ins Wasser stürzte und auf der Stelle ersoff. Das war im Angesicht von mehr als hundert Menschen geschehen, deren Kei- ner einen Finger rührte, das neue Unglück zu verhüten oder wieder gut zu machen.
Nun ließ mich's noch weniger ruhen, als vorher. Jch eilte dem Platze zu, mitten in das Gedränge, das jetzt noch dichter zusammengeströmt war. "Lieben Leute," rief ich -- "jetzt endlich werdet ihr doch in euch gegangen seyn und euch schämen, daß solch ein Skandal vor euren sicht- lichen Augen hat geschehen können? -- Kommt! helft! Laßt uns wieder gut machen, so viel noch möglich ist!" -- Waren sie mir aber vorher schon, sobald sie mich erblickten, ausgewichen, so wollte mir jetzt noch weniger Jemand Stand halten. Da konnt' ich mir denn freilich nicht anders helfen und las ihnen eine Epistel, die von den derbsten war. "Wie?" rief ich -- "Seyd ihr Menschen? seyd ihr Christen? Seyd ihr wohl werth, daß Gott seine Sonne über euch aufgehen läßt? Bei Heiden und Türken und in Landern, die nichts von Gott und Jesu Christo wissen, hilft und ret- tet doch Einer den Andern, wenn es um Leib und Leben gilt!"
Drauf griff ich einen Schönfärber an, der mir eben in den Wurf kam. -- "Was meynst du? Wenn du oder ich dort lägen, wo diese
ſteife Kerle waren, ſo ſiel das Erperiment ſo un- gluͤcklich aus, daß der Eine gleichfalls kopfuͤber neben dem Gloͤckner ins Waſſer ſtuͤrzte und auf der Stelle erſoff. Das war im Angeſicht von mehr als hundert Menſchen geſchehen, deren Kei- ner einen Finger ruͤhrte, das neue Ungluͤck zu verhuͤten oder wieder gut zu machen.
Nun ließ mich’s noch weniger ruhen, als vorher. Jch eilte dem Platze zu, mitten in das Gedraͤnge, das jetzt noch dichter zuſammengeſtroͤmt war. „Lieben Leute,‟ rief ich — „jetzt endlich werdet ihr doch in euch gegangen ſeyn und euch ſchaͤmen, daß ſolch ein Skandal vor euren ſicht- lichen Augen hat geſchehen koͤnnen? — Kommt! helft! Laßt uns wieder gut machen, ſo viel noch moͤglich iſt!‟ — Waren ſie mir aber vorher ſchon, ſobald ſie mich erblickten, ausgewichen, ſo wollte mir jetzt noch weniger Jemand Stand halten. Da konnt’ ich mir denn freilich nicht anders helfen und las ihnen eine Epiſtel, die von den derbſten war. „Wie?‟ rief ich — „Seyd ihr Menſchen? ſeyd ihr Chriſten? Seyd ihr wohl werth, daß Gott ſeine Sonne uͤber euch aufgehen laͤßt? Bei Heiden und Tuͤrken und in Landern, die nichts von Gott und Jeſu Chriſto wiſſen, hilft und ret- tet doch Einer den Andern, wenn es um Leib und Leben gilt!‟
Drauf griff ich einen Schoͤnfaͤrber an, der mir eben in den Wurf kam. — „Was meynſt du? Wenn du oder ich dort laͤgen, wo dieſe
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0032"n="16"/>ſteife Kerle waren, ſo ſiel das Erperiment ſo un-<lb/>
gluͤcklich aus, daß der Eine gleichfalls kopfuͤber<lb/>
neben dem Gloͤckner ins Waſſer ſtuͤrzte und auf<lb/>
der Stelle erſoff. Das war im Angeſicht von<lb/>
mehr als hundert Menſchen geſchehen, deren Kei-<lb/>
ner einen Finger ruͤhrte, das neue Ungluͤck zu<lb/>
verhuͤten oder wieder gut zu machen.</p><lb/><p>Nun ließ mich’s noch weniger ruhen, als<lb/>
vorher. Jch eilte dem Platze zu, mitten in das<lb/>
Gedraͤnge, das jetzt noch dichter zuſammengeſtroͤmt<lb/>
war. „Lieben Leute,‟ rief ich —„jetzt endlich<lb/>
werdet ihr doch in euch gegangen ſeyn und euch<lb/>ſchaͤmen, daß ſolch ein Skandal vor euren ſicht-<lb/>
lichen Augen hat geſchehen koͤnnen? — Kommt!<lb/>
helft! Laßt uns wieder gut machen, ſo viel noch<lb/>
moͤglich iſt!‟— Waren ſie mir aber vorher ſchon,<lb/>ſobald ſie mich erblickten, ausgewichen, ſo wollte<lb/>
mir jetzt noch weniger Jemand Stand halten. Da<lb/>
konnt’ ich mir denn freilich nicht anders helfen<lb/>
und las ihnen eine Epiſtel, die von den derbſten<lb/>
war. „Wie?‟ rief ich —„Seyd ihr Menſchen?<lb/>ſeyd ihr Chriſten? Seyd ihr wohl werth, daß<lb/>
Gott ſeine Sonne uͤber euch aufgehen laͤßt? Bei<lb/>
Heiden und Tuͤrken und in Landern, die nichts<lb/>
von Gott und Jeſu Chriſto wiſſen, hilft und ret-<lb/>
tet doch Einer den Andern, wenn es um Leib<lb/>
und Leben gilt!‟</p><lb/><p>Drauf griff ich einen Schoͤnfaͤrber an, der<lb/>
mir eben in den Wurf kam. —„Was meynſt<lb/>
du? Wenn <hirendition="#g">du</hi> oder <hirendition="#g">ich</hi> dort laͤgen, wo dieſe<lb/></p></div></body></text></TEI>
[16/0032]
ſteife Kerle waren, ſo ſiel das Erperiment ſo un-
gluͤcklich aus, daß der Eine gleichfalls kopfuͤber
neben dem Gloͤckner ins Waſſer ſtuͤrzte und auf
der Stelle erſoff. Das war im Angeſicht von
mehr als hundert Menſchen geſchehen, deren Kei-
ner einen Finger ruͤhrte, das neue Ungluͤck zu
verhuͤten oder wieder gut zu machen.
Nun ließ mich’s noch weniger ruhen, als
vorher. Jch eilte dem Platze zu, mitten in das
Gedraͤnge, das jetzt noch dichter zuſammengeſtroͤmt
war. „Lieben Leute,‟ rief ich — „jetzt endlich
werdet ihr doch in euch gegangen ſeyn und euch
ſchaͤmen, daß ſolch ein Skandal vor euren ſicht-
lichen Augen hat geſchehen koͤnnen? — Kommt!
helft! Laßt uns wieder gut machen, ſo viel noch
moͤglich iſt!‟ — Waren ſie mir aber vorher ſchon,
ſobald ſie mich erblickten, ausgewichen, ſo wollte
mir jetzt noch weniger Jemand Stand halten. Da
konnt’ ich mir denn freilich nicht anders helfen
und las ihnen eine Epiſtel, die von den derbſten
war. „Wie?‟ rief ich — „Seyd ihr Menſchen?
ſeyd ihr Chriſten? Seyd ihr wohl werth, daß
Gott ſeine Sonne uͤber euch aufgehen laͤßt? Bei
Heiden und Tuͤrken und in Landern, die nichts
von Gott und Jeſu Chriſto wiſſen, hilft und ret-
tet doch Einer den Andern, wenn es um Leib
und Leben gilt!‟
Drauf griff ich einen Schoͤnfaͤrber an, der
mir eben in den Wurf kam. — „Was meynſt
du? Wenn du oder ich dort laͤgen, wo dieſe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/32>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.