gen können, daß ich glücklich und zufrieden lebte, wenn ich irgend bei meinen Hausgenossen, durch die ich meine Geschäfte betreiben mußte, nur etwas von der Treue und Anhänglichkeit gefun- den hätte, auf die ich rechnete und die ich be- durfte. Wenn aber das Gesinde, gegen frühere Zeiten gehalten, schon vor dem Kriege ziemlich aus der Art geschlagen schien, so hatte es nun- mehr der Krieg selbst, und das Beispiel der lo- ckern französischen Sitten, vollends verdorben; und wenn ich auch zugeben wollte, daß ich, mit meinen vorgerückten Jahren, in meinen Forde- rungen an die junge Welt etwas strenger, und mitunter auch wohl wunderlicher geworden, als jene gutheissen wollte; so ist's darum nicht min- der wahr, daß die, so mich zunächst umgaben, nur ihrem eignen unerlaubten Nutzen nachgien- gen und mich in meinem Haushalt auf jede mög- liche Weise übervortheilten.
Da fiel mir's denn schwer und immer schwe- rer auf's Herz, daß ich so ganz abgesondert und verlassen in der Welt dastand. Jch zählte bereits 75 Jahre; und in meinen Gedanken hatt' ich meine Lebensrechnung sehr viel früher abgeschlos- sen. Was sollte mit mir werden, wenn Gott mich noch nicht wollte? wenn nun die unver- meidlichen Schwachheiten des Alters näher herzu- traten? wenn Kränklichkeit und körperliche Lei- den bei mir überhand nahmen? wenn meine ed- leren Sinne mich verliessen? wenn ich unver-
gen koͤnnen, daß ich gluͤcklich und zufrieden lebte, wenn ich irgend bei meinen Hausgenoſſen, durch die ich meine Geſchaͤfte betreiben mußte, nur etwas von der Treue und Anhaͤnglichkeit gefun- den haͤtte, auf die ich rechnete und die ich be- durfte. Wenn aber das Geſinde, gegen fruͤhere Zeiten gehalten, ſchon vor dem Kriege ziemlich aus der Art geſchlagen ſchien, ſo hatte es nun- mehr der Krieg ſelbſt, und das Beiſpiel der lo- ckern franzoͤſiſchen Sitten, vollends verdorben; und wenn ich auch zugeben wollte, daß ich, mit meinen vorgeruͤckten Jahren, in meinen Forde- rungen an die junge Welt etwas ſtrenger, und mitunter auch wohl wunderlicher geworden, als jene gutheiſſen wollte; ſo iſt’s darum nicht min- der wahr, daß die, ſo mich zunaͤchſt umgaben, nur ihrem eignen unerlaubten Nutzen nachgien- gen und mich in meinem Haushalt auf jede moͤg- liche Weiſe uͤbervortheilten.
Da fiel mir’s denn ſchwer und immer ſchwe- rer auf’s Herz, daß ich ſo ganz abgeſondert und verlaſſen in der Welt daſtand. Jch zaͤhlte bereits 75 Jahre; und in meinen Gedanken hatt’ ich meine Lebensrechnung ſehr viel fruͤher abgeſchloſ- ſen. Was ſollte mit mir werden, wenn Gott mich noch nicht wollte? wenn nun die unver- meidlichen Schwachheiten des Alters naͤher herzu- traten? wenn Kraͤnklichkeit und koͤrperliche Lei- den bei mir uͤberhand nahmen? wenn meine ed- leren Sinne mich verlieſſen? wenn ich unver-
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gen koͤnnen, daß ich gluͤcklich und zufrieden lebte,
wenn ich irgend bei meinen Hausgenoſſen, durch
die ich meine Geſchaͤfte betreiben mußte, nur
etwas von der Treue und Anhaͤnglichkeit gefun-
den haͤtte, auf die ich rechnete und die ich be-
durfte. Wenn aber das Geſinde, gegen fruͤhere
Zeiten gehalten, ſchon vor dem Kriege ziemlich
aus der Art geſchlagen ſchien, ſo hatte es nun-
mehr der Krieg ſelbſt, und das Beiſpiel der lo-
ckern franzoͤſiſchen Sitten, vollends verdorben;
und wenn ich auch zugeben wollte, daß ich, mit
meinen vorgeruͤckten Jahren, in meinen Forde-
rungen an die junge Welt etwas ſtrenger, und
mitunter auch wohl wunderlicher geworden, als
jene gutheiſſen wollte; ſo iſt’s darum nicht min-
der wahr, daß die, ſo mich zunaͤchſt umgaben,
nur ihrem eignen unerlaubten Nutzen nachgien-
gen und mich in meinem Haushalt auf jede moͤg-
liche Weiſe uͤbervortheilten.
Da fiel mir’s denn ſchwer und immer ſchwe-
rer auf’s Herz, daß ich ſo ganz abgeſondert und
verlaſſen in der Welt daſtand. Jch zaͤhlte bereits
75 Jahre; und in meinen Gedanken hatt’ ich
meine Lebensrechnung ſehr viel fruͤher abgeſchloſ-
ſen. Was ſollte mit mir werden, wenn Gott
mich noch nicht wollte? wenn nun die unver-
meidlichen Schwachheiten des Alters naͤher herzu-
traten? wenn Kraͤnklichkeit und koͤrperliche Lei-
den bei mir uͤberhand nahmen? wenn meine ed-
leren Sinne mich verlieſſen? wenn ich unver-
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/226>, abgerufen am 22.07.2024.
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