waren, auf einem weiten Umwege wieder auf die Poststraße zurückzukehren. Dies machte mich so ungeduldig, daß ich dem Postillon Zügel und Peitsche aus den Händen riß, um selbst zu kut- schieren; und es könnte wohl seyn, daß ich ihm nebenher einige fühlbare Denkzettel auf den Rü- cken zugemessen hätte. So gieng es langsam weiter, von Station zu Station, ohne daß mein stetes Treiben sonderlich fruchtete, oder daß ich auf die Vorstellung meines gleichmüthigern Reise- gefährten viel gegeben hätte, der mir bemerklich machte, daß wir auf diese Weise mitten in der nächstfolgenden Nacht in Stargard anlangen und dann um so weniger in dem überfüllten Orte ein Quartier für uns auffinden würden. Diese Sor- ge kümmerte mich, aus guten Ursachen, ungleich weniger.
Jn der That war es auch, als wir an Ort und Stelle kamen, noch so früh am Morgen, daß wir noch Alles in Finsterniß und Schlaf be- graben fanden. Dies hinderte jedoch nicht, daß ich, gleich zunächst dem Thore, mir ein Haus drauf ansah, vor welchem ich zu halten befahl. Es wurde abgestiegen, angeklopft und, nachdem es drinnen munter geworden, mit lauter Stimme Herberge begehrt. Die Antwort war, wie sie zu erwarten stand, -- eben nicht sehr tröstlich: Al- les sey dicht besetzt, und kein Unterkommen mehr möglich. -- "Aber, lieben Leute," rief ich dage- gen -- "den alten Nettelbeck werdet ihr doch nicht
waren, auf einem weiten Umwege wieder auf die Poſtſtraße zuruͤckzukehren. Dies machte mich ſo ungeduldig, daß ich dem Poſtillon Zuͤgel und Peitſche aus den Haͤnden riß, um ſelbſt zu kut- ſchieren; und es koͤnnte wohl ſeyn, daß ich ihm nebenher einige fuͤhlbare Denkzettel auf den Ruͤ- cken zugemeſſen haͤtte. So gieng es langſam weiter, von Station zu Station, ohne daß mein ſtetes Treiben ſonderlich fruchtete, oder daß ich auf die Vorſtellung meines gleichmuͤthigern Reiſe- gefaͤhrten viel gegeben haͤtte, der mir bemerklich machte, daß wir auf dieſe Weiſe mitten in der naͤchſtfolgenden Nacht in Stargard anlangen und dann um ſo weniger in dem uͤberfuͤllten Orte ein Quartier fuͤr uns auffinden wuͤrden. Dieſe Sor- ge kuͤmmerte mich, aus guten Urſachen, ungleich weniger.
Jn der That war es auch, als wir an Ort und Stelle kamen, noch ſo fruͤh am Morgen, daß wir noch Alles in Finſterniß und Schlaf be- graben fanden. Dies hinderte jedoch nicht, daß ich, gleich zunaͤchſt dem Thore, mir ein Haus drauf anſah, vor welchem ich zu halten befahl. Es wurde abgeſtiegen, angeklopft und, nachdem es drinnen munter geworden, mit lauter Stimme Herberge begehrt. Die Antwort war, wie ſie zu erwarten ſtand, — eben nicht ſehr troͤſtlich: Al- les ſey dicht beſetzt, und kein Unterkommen mehr moͤglich. — „Aber, lieben Leute,‟ rief ich dage- gen — „den alten Nettelbeck werdet ihr doch nicht
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waren, auf einem weiten Umwege wieder auf die
Poſtſtraße zuruͤckzukehren. Dies machte mich ſo
ungeduldig, daß ich dem Poſtillon Zuͤgel und
Peitſche aus den Haͤnden riß, um ſelbſt zu kut-
ſchieren; und es koͤnnte wohl ſeyn, daß ich ihm
nebenher einige fuͤhlbare Denkzettel auf den Ruͤ-
cken zugemeſſen haͤtte. So gieng es langſam
weiter, von Station zu Station, ohne daß mein
ſtetes Treiben ſonderlich fruchtete, oder daß ich
auf die Vorſtellung meines gleichmuͤthigern Reiſe-
gefaͤhrten viel gegeben haͤtte, der mir bemerklich
machte, daß wir auf dieſe Weiſe mitten in der
naͤchſtfolgenden Nacht in Stargard anlangen und
dann um ſo weniger in dem uͤberfuͤllten Orte ein
Quartier fuͤr uns auffinden wuͤrden. Dieſe Sor-
ge kuͤmmerte mich, aus guten Urſachen, ungleich
weniger.
Jn der That war es auch, als wir an Ort
und Stelle kamen, noch ſo fruͤh am Morgen,
daß wir noch Alles in Finſterniß und Schlaf be-
graben fanden. Dies hinderte jedoch nicht, daß
ich, gleich zunaͤchſt dem Thore, mir ein Haus
drauf anſah, vor welchem ich zu halten befahl.
Es wurde abgeſtiegen, angeklopft und, nachdem
es drinnen munter geworden, mit lauter Stimme
Herberge begehrt. Die Antwort war, wie ſie zu
erwarten ſtand, — eben nicht ſehr troͤſtlich: Al-
les ſey dicht beſetzt, und kein Unterkommen mehr
moͤglich. — „Aber, lieben Leute,‟ rief ich dage-
gen — „den alten Nettelbeck werdet ihr doch nicht
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/215>, abgerufen am 22.07.2024.
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