Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

sammlung mit etwas besserer Muße ansehe, be-
merke ich auch seitabwärts den Mann in der
Schlafmütze, der mir bereits durch seine langen
Beine merkwürdig geworden. Halb kommen mir
seine Gesichtszüge bekannt vor: aber die Dun-
kelheit des Winkels läßt mich nichts mit Gewiß-
heit erkennen. Jch greife nach einer Kerze; leuchte
ihm näher unter die Augen und -- siehe! Es ist
der Hauptmann ***, von unsrer Garnison. Hoch-
verwundert frage ich: "Ei tausend, Herr Haupt-
mann! Wie gerathen Sie hieher? Jst dies Loch
ein Aufenthalt für Sie? Ein Officier -- und
verkriecht sich unter alte Weiber und Wiegenkin-
der! Der König hat Jhnen gewiß vierzig Jahre
Brodt gegeben: und nun es in seinem Dienste
gilt, verthun Sie sich abseits?" -- Er stotterte
etwas daher: "Sehen Sie nicht, daß ich krank
bin? Jch habe das Fieber." -- "Daß Sie eine
Schlafmütze sind, sehe ich; und das Bombenfieber
sehe ich auch;" war meine Antwort. -- "Hier
heraus mit Jhnen; und fort, wohin Sie gehö-
ren!" -- Jch wäre in meiner Ereiferung vielleicht
noch tiefer in den Text hineingerathen, wenn
meine vorgedachten Bekannten mich nicht von ihm
abgezogen und begütigt hätten. Unterdessen ließ
der Fieber-Patient sich ein gutes Gericht Essen
und ein Viertel Wein auftragen, und speisete mit
einem Appetit, der auch dem Gesundesten Ehre
gemacht haben würde.

Aber es sollte hier gleich noch ein zweites

ſammlung mit etwas beſſerer Muße anſehe, be-
merke ich auch ſeitabwaͤrts den Mann in der
Schlafmuͤtze, der mir bereits durch ſeine langen
Beine merkwuͤrdig geworden. Halb kommen mir
ſeine Geſichtszuͤge bekannt vor: aber die Dun-
kelheit des Winkels laͤßt mich nichts mit Gewiß-
heit erkennen. Jch greife nach einer Kerze; leuchte
ihm naͤher unter die Augen und — ſiehe! Es iſt
der Hauptmann ***, von unſrer Garniſon. Hoch-
verwundert frage ich: „Ei tauſend, Herr Haupt-
mann! Wie gerathen Sie hieher? Jſt dies Loch
ein Aufenthalt fuͤr Sie? Ein Officier — und
verkriecht ſich unter alte Weiber und Wiegenkin-
der! Der Koͤnig hat Jhnen gewiß vierzig Jahre
Brodt gegeben: und nun es in ſeinem Dienſte
gilt, verthun Sie ſich abſeits?‟ — Er ſtotterte
etwas daher: „Sehen Sie nicht, daß ich krank
bin? Jch habe das Fieber.‟ — „Daß Sie eine
Schlafmuͤtze ſind, ſehe ich; und das Bombenfieber
ſehe ich auch;‟ war meine Antwort. — „Hier
heraus mit Jhnen; und fort, wohin Sie gehoͤ-
ren!‟ — Jch waͤre in meiner Ereiferung vielleicht
noch tiefer in den Text hineingerathen, wenn
meine vorgedachten Bekannten mich nicht von ihm
abgezogen und beguͤtigt haͤtten. Unterdeſſen ließ
der Fieber-Patient ſich ein gutes Gericht Eſſen
und ein Viertel Wein auftragen, und ſpeiſete mit
einem Appetit, der auch dem Geſundeſten Ehre
gemacht haben wuͤrde.

Aber es ſollte hier gleich noch ein zweites

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0194" n="178"/>
&#x017F;ammlung mit etwas be&#x017F;&#x017F;erer Muße an&#x017F;ehe, be-<lb/>
merke ich auch &#x017F;eitabwa&#x0364;rts den Mann in der<lb/>
Schlafmu&#x0364;tze, der mir bereits durch &#x017F;eine langen<lb/>
Beine merkwu&#x0364;rdig geworden. Halb kommen mir<lb/>
&#x017F;eine Ge&#x017F;ichtszu&#x0364;ge bekannt vor: aber die Dun-<lb/>
kelheit des Winkels la&#x0364;ßt mich nichts mit Gewiß-<lb/>
heit erkennen. Jch greife nach einer Kerze; leuchte<lb/>
ihm na&#x0364;her unter die Augen und &#x2014; &#x017F;iehe! Es i&#x017F;t<lb/>
der Hauptmann ***, von un&#x017F;rer Garni&#x017F;on. Hoch-<lb/>
verwundert frage ich: &#x201E;Ei tau&#x017F;end, Herr Haupt-<lb/>
mann! Wie gerathen Sie hieher? J&#x017F;t dies Loch<lb/>
ein Aufenthalt fu&#x0364;r Sie? Ein Officier &#x2014; und<lb/>
verkriecht &#x017F;ich unter alte Weiber und Wiegenkin-<lb/>
der! Der Ko&#x0364;nig hat Jhnen gewiß vierzig Jahre<lb/>
Brodt gegeben: und nun es in &#x017F;einem Dien&#x017F;te<lb/>
gilt, verthun Sie &#x017F;ich ab&#x017F;eits?&#x201F; &#x2014; Er &#x017F;totterte<lb/>
etwas daher: &#x201E;Sehen Sie nicht, daß ich krank<lb/>
bin? Jch habe das Fieber.&#x201F; &#x2014; &#x201E;Daß Sie eine<lb/>
Schlafmu&#x0364;tze &#x017F;ind, &#x017F;ehe ich; und das Bombenfieber<lb/>
&#x017F;ehe ich auch;&#x201F; war meine Antwort. &#x2014; &#x201E;Hier<lb/>
heraus mit Jhnen; und fort, wohin Sie geho&#x0364;-<lb/>
ren!&#x201F; &#x2014; Jch wa&#x0364;re in meiner Ereiferung vielleicht<lb/>
noch tiefer in den Text hineingerathen, wenn<lb/>
meine vorgedachten Bekannten mich nicht von ihm<lb/>
abgezogen und begu&#x0364;tigt ha&#x0364;tten. Unterde&#x017F;&#x017F;en ließ<lb/>
der Fieber-Patient &#x017F;ich ein gutes Gericht E&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und ein Viertel Wein auftragen, und &#x017F;pei&#x017F;ete mit<lb/>
einem Appetit, der auch dem Ge&#x017F;unde&#x017F;ten Ehre<lb/>
gemacht haben wu&#x0364;rde.</p><lb/>
        <p>Aber es &#x017F;ollte hier gleich noch ein zweites<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[178/0194] ſammlung mit etwas beſſerer Muße anſehe, be- merke ich auch ſeitabwaͤrts den Mann in der Schlafmuͤtze, der mir bereits durch ſeine langen Beine merkwuͤrdig geworden. Halb kommen mir ſeine Geſichtszuͤge bekannt vor: aber die Dun- kelheit des Winkels laͤßt mich nichts mit Gewiß- heit erkennen. Jch greife nach einer Kerze; leuchte ihm naͤher unter die Augen und — ſiehe! Es iſt der Hauptmann ***, von unſrer Garniſon. Hoch- verwundert frage ich: „Ei tauſend, Herr Haupt- mann! Wie gerathen Sie hieher? Jſt dies Loch ein Aufenthalt fuͤr Sie? Ein Officier — und verkriecht ſich unter alte Weiber und Wiegenkin- der! Der Koͤnig hat Jhnen gewiß vierzig Jahre Brodt gegeben: und nun es in ſeinem Dienſte gilt, verthun Sie ſich abſeits?‟ — Er ſtotterte etwas daher: „Sehen Sie nicht, daß ich krank bin? Jch habe das Fieber.‟ — „Daß Sie eine Schlafmuͤtze ſind, ſehe ich; und das Bombenfieber ſehe ich auch;‟ war meine Antwort. — „Hier heraus mit Jhnen; und fort, wohin Sie gehoͤ- ren!‟ — Jch waͤre in meiner Ereiferung vielleicht noch tiefer in den Text hineingerathen, wenn meine vorgedachten Bekannten mich nicht von ihm abgezogen und beguͤtigt haͤtten. Unterdeſſen ließ der Fieber-Patient ſich ein gutes Gericht Eſſen und ein Viertel Wein auftragen, und ſpeiſete mit einem Appetit, der auch dem Geſundeſten Ehre gemacht haben wuͤrde. Aber es ſollte hier gleich noch ein zweites

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/194
Zitationshilfe: Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/194>, abgerufen am 20.07.2024.