links ab über den Neuen-Graben zu gehen, wo das Haus stand, in welchem ich in frü- herer und besserer Zeit gewohnt hatte. Nach- denklich blieb ich demselben gegenüber stehen, und indem ich es betrachtete, fiel es mir schwer auf's Herz, wie ich hier doch fünf Jahre lang in Leid und Freude aus- und eingegangen, mit so manchem Biedermann in Verkehr und Freundschaft gestanden und froh und muthig in's Leben hineingeschaut habe. Und wie war das nun so ganz anders! Auf diesem nemlichen Fleck stand ich nun als Fremdling; Niemand hier, dem mein Wohl oder Weh noch zu Herzen gieng -- Jch selbst ein wunderlicher Spielball des Schick- sals und nach allen Himmelsgegenden um- hergeworfen! Warlich, es war kein Wunder, daß mir in diesen Gedanken ein paar schwere Thränen in die Augen traten!
"Herr Jemine! Sieh doch! Kapitain Net- telbeck und kein Andrer!" rief plötzlich eine weibliche Stimme aus einem geöffneten Fen- ster des nemlichen Hauses dessen Anblick diese trübe Wehmuth in mir hervorgernfen hatte. Jndem ich nun, aus mir selbst aufgeschreckt, emporschaute, bemerkte ich ein Frauenzimmer, welches im Begriffe gewesen zu seyn schien, einen Teller mit Fischgräten auf die Straße hinauszuschütten. Jch stutzte, konnte mich aber des veralteten und verzerrten Gesichts
links ab uͤber den Neuen-Graben zu gehen, wo das Haus ſtand, in welchem ich in fruͤ- herer und beſſerer Zeit gewohnt hatte. Nach- denklich blieb ich demſelben gegenuͤber ſtehen, und indem ich es betrachtete, fiel es mir ſchwer auf’s Herz, wie ich hier doch fuͤnf Jahre lang in Leid und Freude aus- und eingegangen, mit ſo manchem Biedermann in Verkehr und Freundſchaft geſtanden und froh und muthig in’s Leben hineingeſchaut habe. Und wie war das nun ſo ganz anders! Auf dieſem nemlichen Fleck ſtand ich nun als Fremdling; Niemand hier, dem mein Wohl oder Weh noch zu Herzen gieng — Jch ſelbſt ein wunderlicher Spielball des Schick- ſals und nach allen Himmelsgegenden um- hergeworfen! Warlich, es war kein Wunder, daß mir in dieſen Gedanken ein paar ſchwere Thraͤnen in die Augen traten!
„Herr Jemine! Sieh doch! Kapitain Net- telbeck und kein Andrer!‟ rief ploͤtzlich eine weibliche Stimme aus einem geoͤffneten Fen- ſter des nemlichen Hauſes deſſen Anblick dieſe truͤbe Wehmuth in mir hervorgernfen hatte. Jndem ich nun, aus mir ſelbſt aufgeſchreckt, emporſchaute, bemerkte ich ein Frauenzimmer, welches im Begriffe geweſen zu ſeyn ſchien, einen Teller mit Fiſchgraͤten auf die Straße hinauszuſchuͤtten. Jch ſtutzte, konnte mich aber des veralteten und verzerrten Geſichts
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links ab uͤber den Neuen-Graben zu gehen,
wo das Haus ſtand, in welchem ich in fruͤ-
herer und beſſerer Zeit gewohnt hatte. Nach-
denklich blieb ich demſelben gegenuͤber ſtehen,
und indem ich es betrachtete, fiel es mir
ſchwer auf’s Herz, wie ich hier doch fuͤnf
Jahre lang in Leid und Freude aus- und
eingegangen, mit ſo manchem Biedermann
in Verkehr und Freundſchaft geſtanden und
froh und muthig in’s Leben hineingeſchaut habe.
Und wie war das nun ſo ganz anders! Auf
dieſem nemlichen Fleck ſtand ich nun als
Fremdling; Niemand hier, dem mein Wohl
oder Weh noch zu Herzen gieng — Jch
ſelbſt ein wunderlicher Spielball des Schick-
ſals und nach allen Himmelsgegenden um-
hergeworfen! Warlich, es war kein Wunder,
daß mir in dieſen Gedanken ein paar ſchwere
Thraͤnen in die Augen traten!
„Herr Jemine! Sieh doch! Kapitain Net-
telbeck und kein Andrer!‟ rief ploͤtzlich eine
weibliche Stimme aus einem geoͤffneten Fen-
ſter des nemlichen Hauſes deſſen Anblick dieſe
truͤbe Wehmuth in mir hervorgernfen hatte.
Jndem ich nun, aus mir ſelbſt aufgeſchreckt,
emporſchaute, bemerkte ich ein Frauenzimmer,
welches im Begriffe geweſen zu ſeyn ſchien,
einen Teller mit Fiſchgraͤten auf die Straße
hinauszuſchuͤtten. Jch ſtutzte, konnte mich
aber des veralteten und verzerrten Geſichts
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 2. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung02_1821/140>, abgerufen am 01.05.2024.
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