Jch gestand meinem Oheim, wie gerne ich am Bord eines solchen ansehnlichen Ostin- dien-Fahrers seyn und die Reise mitmachen möchte. Er gab mir immer die einzige Ant- wort, die darauf paßte: Daß ich nicht klug im Kopfe seyn müßte. Endlich aber ward dieser Hang in mir zu mächtig, als daß ich ihm länger widerstehen konnte. Jn einer Nacht, zwei Tage vor unsrer Abreise, schlüpfte ich heimlich in unsre angehängte Jölle -- ganz wie ich gieng und stand und ohne das geringste von meinen Kleidungsstücken mit mir zu nehmen. Man sollte nemlich nicht glauben, daß ich desertirt, sondern daß ich ertrunken sey; und wollte so verhindern, daß mir nicht weiter auf den andern Schif- fen nachgespürt würde. Unter diesen aber hatte ich mir Eins auf's Korn gefaßt, von welchem mir bekannt geworden war, daß es am andern nächsten Morgen nach Ostindien unter Segel gehen sollte. Das Letztere zwar war richtig: aber über seine Bestimmung befand ich mich im Jrrthum: denn es war zum Sklaven-Handel auf der Küste von Guinea bestimmt.
Still und vorsichtig kam ich mit meiner Jölle an der Seite dieses Schiffes an, ohne von irgend Jemand auf demselben bemerkt zu werden. Eben so ungesehen stieg ich an
Jch geſtand meinem Oheim, wie gerne ich am Bord eines ſolchen anſehnlichen Oſtin- dien-Fahrers ſeyn und die Reiſe mitmachen moͤchte. Er gab mir immer die einzige Ant- wort, die darauf paßte: Daß ich nicht klug im Kopfe ſeyn muͤßte. Endlich aber ward dieſer Hang in mir zu maͤchtig, als daß ich ihm laͤnger widerſtehen konnte. Jn einer Nacht, zwei Tage vor unſrer Abreiſe, ſchluͤpfte ich heimlich in unſre angehaͤngte Joͤlle — ganz wie ich gieng und ſtand und ohne das geringſte von meinen Kleidungsſtuͤcken mit mir zu nehmen. Man ſollte nemlich nicht glauben, daß ich deſertirt, ſondern daß ich ertrunken ſey; und wollte ſo verhindern, daß mir nicht weiter auf den andern Schif- fen nachgeſpuͤrt wuͤrde. Unter dieſen aber hatte ich mir Eins auf’s Korn gefaßt, von welchem mir bekannt geworden war, daß es am andern naͤchſten Morgen nach Oſtindien unter Segel gehen ſollte. Das Letztere zwar war richtig: aber uͤber ſeine Beſtimmung befand ich mich im Jrrthum: denn es war zum Sklaven-Handel auf der Kuͤſte von Guinea beſtimmt.
Still und vorſichtig kam ich mit meiner Joͤlle an der Seite dieſes Schiffes an, ohne von irgend Jemand auf demſelben bemerkt zu werden. Eben ſo ungeſehen ſtieg ich an
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Jch geſtand meinem Oheim, wie gerne ich
am Bord eines ſolchen anſehnlichen Oſtin-
dien-Fahrers ſeyn und die Reiſe mitmachen
moͤchte. Er gab mir immer die einzige Ant-
wort, die darauf paßte: Daß ich nicht klug
im Kopfe ſeyn muͤßte. Endlich aber ward
dieſer Hang in mir zu maͤchtig, als daß ich
ihm laͤnger widerſtehen konnte. Jn einer
Nacht, zwei Tage vor unſrer Abreiſe, ſchluͤpfte
ich heimlich in unſre angehaͤngte Joͤlle —
ganz wie ich gieng und ſtand und ohne das
geringſte von meinen Kleidungsſtuͤcken mit
mir zu nehmen. Man ſollte nemlich nicht
glauben, daß ich deſertirt, ſondern daß ich
ertrunken ſey; und wollte ſo verhindern,
daß mir nicht weiter auf den andern Schif-
fen nachgeſpuͤrt wuͤrde. Unter dieſen aber
hatte ich mir Eins auf’s Korn gefaßt, von
welchem mir bekannt geworden war, daß es
am andern naͤchſten Morgen nach Oſtindien
unter Segel gehen ſollte. Das Letztere zwar
war richtig: aber uͤber ſeine Beſtimmung
befand ich mich im Jrrthum: denn es war
zum Sklaven-Handel auf der Kuͤſte von
Guinea beſtimmt.
Still und vorſichtig kam ich mit meiner
Joͤlle an der Seite dieſes Schiffes an, ohne
von irgend Jemand auf demſelben bemerkt
zu werden. Eben ſo ungeſehen ſtieg ich an
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/36>, abgerufen am 19.04.2024.
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