Bord, indem ich mein kleines Fahrzeug mit dem Fuße zurückstieß und es treibend seinem Schicksal überließ. Bald aber sammlete sich das ganze Schiffsvolk (Es waren deren 84 Köpfe, wie ich nachmals erfuhr) ver- wundert um mich her. Jeder wollte wissen, woher ich käme? wer ich wäre? was ich wollte? Statt aller Antwort -- Und was hätt' ich auch sagen können? -- fing ich an, erbärmlich zu weinen.
Der Kapitain war diese Nacht nicht an Bord. Man brachte mich also zu den Steu- erleuten, welche das Verhör in's Kreuz und in die Queere mit mir erneuerten. Auch hier hatt' ich nichts, als Thränen und Schluchzen. "Aha, Bursche!" legte sich endlich Einer auf's Rathen -- "Jch merke schon! Du bist von einem Schiffe weggelau- fen und denkst, daß wir dich mitnehmen sollen?" -- Das war ganz meines Herzens- Meynung. Jch stammelte also ein Ja dar- auf hervor; konnte mich aber diesmal nicht entschliessen, noch weiter herauszubeichten. Jnzwischen hatte man einiges Mitleid mit mir; gab mir ein Glas Wein, sammt einem Butterbrod und Käse, und wies mir eine Schlafstelle an, mit dem Bedeuten, daß mor- gen früh der Kapitain an Bord kommen werde, der mich vielleicht wohl mitnehmen
Bord, indem ich mein kleines Fahrzeug mit dem Fuße zuruͤckſtieß und es treibend ſeinem Schickſal uͤberließ. Bald aber ſammlete ſich das ganze Schiffsvolk (Es waren deren 84 Koͤpfe, wie ich nachmals erfuhr) ver- wundert um mich her. Jeder wollte wiſſen, woher ich kaͤme? wer ich waͤre? was ich wollte? Statt aller Antwort — Und was haͤtt’ ich auch ſagen koͤnnen? — fing ich an, erbaͤrmlich zu weinen.
Der Kapitain war dieſe Nacht nicht an Bord. Man brachte mich alſo zu den Steu- erleuten, welche das Verhoͤr in’s Kreuz und in die Queere mit mir erneuerten. Auch hier hatt’ ich nichts, als Thraͤnen und Schluchzen. „Aha, Burſche!‟ legte ſich endlich Einer auf’s Rathen — „Jch merke ſchon! Du biſt von einem Schiffe weggelau- fen und denkſt, daß wir dich mitnehmen ſollen?‟ — Das war ganz meines Herzens- Meynung. Jch ſtammelte alſo ein Ja dar- auf hervor; konnte mich aber diesmal nicht entſchlieſſen, noch weiter herauszubeichten. Jnzwiſchen hatte man einiges Mitleid mit mir; gab mir ein Glas Wein, ſammt einem Butterbrod und Kaͤſe, und wies mir eine Schlafſtelle an, mit dem Bedeuten, daß mor- gen fruͤh der Kapitain an Bord kommen werde, der mich vielleicht wohl mitnehmen
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Bord, indem ich mein kleines Fahrzeug mit
dem Fuße zuruͤckſtieß und es treibend ſeinem
Schickſal uͤberließ. Bald aber ſammlete ſich
das ganze Schiffsvolk (Es waren deren
84 Koͤpfe, wie ich nachmals erfuhr) ver-
wundert um mich her. Jeder wollte wiſſen,
woher ich kaͤme? wer ich waͤre? was ich
wollte? Statt aller Antwort — Und was
haͤtt’ ich auch ſagen koͤnnen? — fing ich an,
erbaͤrmlich zu weinen.
Der Kapitain war dieſe Nacht nicht an
Bord. Man brachte mich alſo zu den Steu-
erleuten, welche das Verhoͤr in’s Kreuz und
in die Queere mit mir erneuerten. Auch
hier hatt’ ich nichts, als Thraͤnen und
Schluchzen. „Aha, Burſche!‟ legte ſich
endlich Einer auf’s Rathen — „Jch merke
ſchon! Du biſt von einem Schiffe weggelau-
fen und denkſt, daß wir dich mitnehmen
ſollen?‟ — Das war ganz meines Herzens-
Meynung. Jch ſtammelte alſo ein Ja dar-
auf hervor; konnte mich aber diesmal nicht
entſchlieſſen, noch weiter herauszubeichten.
Jnzwiſchen hatte man einiges Mitleid mit
mir; gab mir ein Glas Wein, ſammt einem
Butterbrod und Kaͤſe, und wies mir eine
Schlafſtelle an, mit dem Bedeuten, daß mor-
gen fruͤh der Kapitain an Bord kommen
werde, der mich vielleicht wohl mitnehmen
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/37>, abgerufen am 24.04.2024.
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