andern Schulbuben über mein Abentheuer noch ausgelacht zu werden. Niemand hatte Mitleid mit meinem Unstern; ausgenommen ein einziges gutherziges Mädchen, die älteste Tochter des Kaufmanns, Herrn Seeland. (Wenn ich mich recht entsinne, nannte man sie Dörtchen) Dörtchen also steckte mir den letzten Abend, mit Thränen in den Augen, ihre Semmel zu; konnt' es aber nicht so heimlich abthun, daß es nicht von den An- dern wäre gesehen und verrathen worden. Die Semmel ward mir vom Lehrer wieder abgenommen und confiscirt. Jch weinte; sie weinte; Herr Schütz selbst konnte sich dessen nicht erwehren. Jch bekam meine Semmel zurück: aber bloß -- wie er hin- zusetzte -- um das gute Kind zu beruhi- gen. -- Jch habe nachher, im Jahre 1782 (Also nach Verlauf von 34 Jahren!) die Freude gehabt, dieses nemliche Dörtchen Seeland in Memel wieder anzutreffen. Jhre Eltern waren in ihrem Wohlstande zurückgekommen, den sie damals durch eine Auswanderung nach Rußland zu verbessern hofften. Jch hatte jene Semmel noch nicht vergessen; und es hat mir wohlgethan, sie einigermaaßen vergelten zu können.
Endlich, da ich etwa eilf Jahre alt seyn mochte, sollte es, zu meiner unsäglichen
andern Schulbuben uͤber mein Abentheuer noch ausgelacht zu werden. Niemand hatte Mitleid mit meinem Unſtern; ausgenommen ein einziges gutherziges Maͤdchen, die aͤlteſte Tochter des Kaufmanns, Herrn Seeland. (Wenn ich mich recht entſinne, nannte man ſie Doͤrtchen) Doͤrtchen alſo ſteckte mir den letzten Abend, mit Thraͤnen in den Augen, ihre Semmel zu; konnt’ es aber nicht ſo heimlich abthun, daß es nicht von den An- dern waͤre geſehen und verrathen worden. Die Semmel ward mir vom Lehrer wieder abgenommen und confiſcirt. Jch weinte; ſie weinte; Herr Schuͤtz ſelbſt konnte ſich deſſen nicht erwehren. Jch bekam meine Semmel zuruͤck: aber bloß — wie er hin- zuſetzte — um das gute Kind zu beruhi- gen. — Jch habe nachher, im Jahre 1782 (Alſo nach Verlauf von 34 Jahren!) die Freude gehabt, dieſes nemliche Doͤrtchen Seeland in Memel wieder anzutreffen. Jhre Eltern waren in ihrem Wohlſtande zuruͤckgekommen, den ſie damals durch eine Auswanderung nach Rußland zu verbeſſern hofften. Jch hatte jene Semmel noch nicht vergeſſen; und es hat mir wohlgethan, ſie einigermaaßen vergelten zu koͤnnen.
Endlich, da ich etwa eilf Jahre alt ſeyn mochte, ſollte es, zu meiner unſaͤglichen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0034"n="18"/>
andern Schulbuben uͤber mein Abentheuer<lb/>
noch ausgelacht zu werden. Niemand hatte<lb/>
Mitleid mit meinem Unſtern; ausgenommen<lb/>
ein einziges gutherziges Maͤdchen, die aͤlteſte<lb/>
Tochter des Kaufmanns, Herrn Seeland.<lb/>
(Wenn ich mich recht entſinne, nannte man<lb/>ſie Doͤrtchen) Doͤrtchen alſo ſteckte mir den<lb/>
letzten Abend, mit Thraͤnen in den Augen,<lb/>
ihre Semmel zu; konnt’ es aber nicht ſo<lb/>
heimlich abthun, daß es nicht von den An-<lb/>
dern waͤre geſehen und verrathen worden.<lb/>
Die Semmel ward mir vom Lehrer wieder<lb/>
abgenommen und confiſcirt. <hirendition="#g">Jch</hi> weinte;<lb/><hirendition="#g">ſie</hi> weinte; Herr Schuͤtz ſelbſt konnte ſich<lb/>
deſſen nicht erwehren. Jch bekam meine<lb/>
Semmel zuruͤck: aber bloß — wie er hin-<lb/>
zuſetzte — um das gute Kind zu beruhi-<lb/>
gen. — Jch habe nachher, im Jahre 1782<lb/>
(Alſo nach Verlauf von 34 Jahren!) die<lb/>
Freude gehabt, dieſes nemliche Doͤrtchen<lb/>
Seeland in Memel wieder anzutreffen.<lb/>
Jhre Eltern waren in ihrem Wohlſtande<lb/>
zuruͤckgekommen, den ſie damals durch eine<lb/>
Auswanderung nach Rußland zu verbeſſern<lb/>
hofften. Jch hatte jene Semmel noch nicht<lb/>
vergeſſen; und es hat mir wohlgethan, ſie<lb/>
einigermaaßen vergelten zu koͤnnen.</p><lb/><p>Endlich, da ich etwa eilf Jahre alt ſeyn<lb/>
mochte, ſollte es, zu meiner unſaͤglichen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[18/0034]
andern Schulbuben uͤber mein Abentheuer
noch ausgelacht zu werden. Niemand hatte
Mitleid mit meinem Unſtern; ausgenommen
ein einziges gutherziges Maͤdchen, die aͤlteſte
Tochter des Kaufmanns, Herrn Seeland.
(Wenn ich mich recht entſinne, nannte man
ſie Doͤrtchen) Doͤrtchen alſo ſteckte mir den
letzten Abend, mit Thraͤnen in den Augen,
ihre Semmel zu; konnt’ es aber nicht ſo
heimlich abthun, daß es nicht von den An-
dern waͤre geſehen und verrathen worden.
Die Semmel ward mir vom Lehrer wieder
abgenommen und confiſcirt. Jch weinte;
ſie weinte; Herr Schuͤtz ſelbſt konnte ſich
deſſen nicht erwehren. Jch bekam meine
Semmel zuruͤck: aber bloß — wie er hin-
zuſetzte — um das gute Kind zu beruhi-
gen. — Jch habe nachher, im Jahre 1782
(Alſo nach Verlauf von 34 Jahren!) die
Freude gehabt, dieſes nemliche Doͤrtchen
Seeland in Memel wieder anzutreffen.
Jhre Eltern waren in ihrem Wohlſtande
zuruͤckgekommen, den ſie damals durch eine
Auswanderung nach Rußland zu verbeſſern
hofften. Jch hatte jene Semmel noch nicht
vergeſſen; und es hat mir wohlgethan, ſie
einigermaaßen vergelten zu koͤnnen.
Endlich, da ich etwa eilf Jahre alt ſeyn
mochte, ſollte es, zu meiner unſaͤglichen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/34>, abgerufen am 25.04.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.