Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821.von hier zu holen, weil man Getreide- Endlich langte ein Schiff mit Roggen von hier zu holen, weil man Getreide- Endlich langte ein Schiff mit Roggen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0020" n="4"/> von hier zu holen, weil man Getreide-<lb/> Schiffe in unſerm Hafen erwartete, die der<lb/> grauſamen Roth ſteuern ſollten. Alle Stra-<lb/> ßen bei uns lagen voll von dieſen ungluͤck-<lb/> lichen ausgehungerten Menſchen. Meine<lb/> Großmutter, bei der ich, wie ſchon geſagt,<lb/> erzogen ward, ließ taͤglich mehrere Koͤrbe<lb/> voll Gruͤnkohl in unſerm Garten pfluͤcken,<lb/> kochte Einen Keſſel voll nach dem Andern<lb/> fuͤr unſre verſchmachtenden Gaͤſte, und <hi rendition="#g">mir</hi><lb/> ward das gern uͤbernommene Ehren-Aemt-<lb/> chen zu Theil, ihnen dieſe Speiſe in kleinen<lb/> Schuͤſſelchen, nebſt einer Brodſchnitte, zuzu-<lb/> tragen. Da riſſen mir denn Alte und Junge<lb/> meinen Napf begierig aus der Hand, oder<lb/> auch wohl unter einander ſelbſt vor dem<lb/> Munde weg. Jch kann nicht ausſprechen,<lb/> welch einen ſchauderhaften Eindruck dieſe<lb/> Scene auf meine kindiſche Seele machte!</p><lb/> <p>Endlich langte ein Schiff mit Roggen<lb/> auf der Rheede an, dem ſich tauſend ſehn-<lb/> ſuͤchtige Augen und Herzen entgegen richte-<lb/> ten. Aber, o Jammer! beim Einlaufen in<lb/> den Hafen ſtieß es gegen eine Steinkiſte<lb/> des Hafendammes und nahm ſo betraͤchtli-<lb/> chen Schaden, daß es, im Strome ſelbſt,<lb/> nur wenige Hundert Schritte weiter, der<lb/> Muͤnder Vogtey gegenuͤber, in den Grund<lb/> ſank. Sollte die koſtbare Ladung nicht ganz<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [4/0020]
von hier zu holen, weil man Getreide-
Schiffe in unſerm Hafen erwartete, die der
grauſamen Roth ſteuern ſollten. Alle Stra-
ßen bei uns lagen voll von dieſen ungluͤck-
lichen ausgehungerten Menſchen. Meine
Großmutter, bei der ich, wie ſchon geſagt,
erzogen ward, ließ taͤglich mehrere Koͤrbe
voll Gruͤnkohl in unſerm Garten pfluͤcken,
kochte Einen Keſſel voll nach dem Andern
fuͤr unſre verſchmachtenden Gaͤſte, und mir
ward das gern uͤbernommene Ehren-Aemt-
chen zu Theil, ihnen dieſe Speiſe in kleinen
Schuͤſſelchen, nebſt einer Brodſchnitte, zuzu-
tragen. Da riſſen mir denn Alte und Junge
meinen Napf begierig aus der Hand, oder
auch wohl unter einander ſelbſt vor dem
Munde weg. Jch kann nicht ausſprechen,
welch einen ſchauderhaften Eindruck dieſe
Scene auf meine kindiſche Seele machte!
Endlich langte ein Schiff mit Roggen
auf der Rheede an, dem ſich tauſend ſehn-
ſuͤchtige Augen und Herzen entgegen richte-
ten. Aber, o Jammer! beim Einlaufen in
den Hafen ſtieß es gegen eine Steinkiſte
des Hafendammes und nahm ſo betraͤchtli-
chen Schaden, daß es, im Strome ſelbſt,
nur wenige Hundert Schritte weiter, der
Muͤnder Vogtey gegenuͤber, in den Grund
ſank. Sollte die koſtbare Ladung nicht ganz
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