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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821.

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ich Obstkerne; ich verpflanzte, ich pfropfte
und oculirte; ich begoß und pflegte meine
Gewächse. Meine Kernstämmchen wuchsen
heran; und sieben von diesen selbstgezogenen
Bäumen sind noch (wie sehr es mir auch
um sie leid that, da ich jetzt der Besitzer
des nemlichen Gartens bin) in der letzten
französischen Belagerung umgehauen worden.

An dieses kleine, aber für mich unschätz-
bare Grundstück, dessen Pflege noch in die-
sem Augenblick die Freude meines Alters
ausmacht, heften sich zugleich auch ein paar
meiner frühesten und lebendigsten Erinne-
rungen, die ich darum nicht ganz mit Still-
schweigen übergehen darf.

Jch mochte wohl ein Bürschchen von 5
oder 6 Jahren seyn und noch in meinen er-
sten Höschen stecken, (also etwa um das
Jahr 1743 oder 44) als es hier bei uns,
und im Lande weit umher, eine so schrecklich
knappe und theure Zeit gab, daß viele Men-
schen vor Hunger starben: Denn der Schef-
fel Roggen galt den, damals beinahe für
unerschwinglich gehaltenen Preis von einem
Thaler acht Groschen. Es kamen, von land-
einwärts her, viele arme Leute nach Colberg,
die ihre kleinen hungrigen Würmer auf
Schiebkarren mit sich brachten, um Korn

ich Obſtkerne; ich verpflanzte, ich pfropfte
und oculirte; ich begoß und pflegte meine
Gewaͤchſe. Meine Kernſtaͤmmchen wuchſen
heran; und ſieben von dieſen ſelbſtgezogenen
Baͤumen ſind noch (wie ſehr es mir auch
um ſie leid that, da ich jetzt der Beſitzer
des nemlichen Gartens bin) in der letzten
franzoͤſiſchen Belagerung umgehauen worden.

An dieſes kleine, aber fuͤr mich unſchaͤtz-
bare Grundſtuͤck, deſſen Pflege noch in die-
ſem Augenblick die Freude meines Alters
ausmacht, heften ſich zugleich auch ein paar
meiner fruͤheſten und lebendigſten Erinne-
rungen, die ich darum nicht ganz mit Still-
ſchweigen uͤbergehen darf.

Jch mochte wohl ein Buͤrſchchen von 5
oder 6 Jahren ſeyn und noch in meinen er-
ſten Hoͤschen ſtecken, (alſo etwa um das
Jahr 1743 oder 44) als es hier bei uns,
und im Lande weit umher, eine ſo ſchrecklich
knappe und theure Zeit gab, daß viele Men-
ſchen vor Hunger ſtarben: Denn der Schef-
fel Roggen galt den, damals beinahe fuͤr
unerſchwinglich gehaltenen Preis von einem
Thaler acht Groſchen. Es kamen, von land-
einwaͤrts her, viele arme Leute nach Colberg,
die ihre kleinen hungrigen Wuͤrmer auf
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[3/0019] ich Obſtkerne; ich verpflanzte, ich pfropfte und oculirte; ich begoß und pflegte meine Gewaͤchſe. Meine Kernſtaͤmmchen wuchſen heran; und ſieben von dieſen ſelbſtgezogenen Baͤumen ſind noch (wie ſehr es mir auch um ſie leid that, da ich jetzt der Beſitzer des nemlichen Gartens bin) in der letzten franzoͤſiſchen Belagerung umgehauen worden. An dieſes kleine, aber fuͤr mich unſchaͤtz- bare Grundſtuͤck, deſſen Pflege noch in die- ſem Augenblick die Freude meines Alters ausmacht, heften ſich zugleich auch ein paar meiner fruͤheſten und lebendigſten Erinne- rungen, die ich darum nicht ganz mit Still- ſchweigen uͤbergehen darf. Jch mochte wohl ein Buͤrſchchen von 5 oder 6 Jahren ſeyn und noch in meinen er- ſten Hoͤschen ſtecken, (alſo etwa um das Jahr 1743 oder 44) als es hier bei uns, und im Lande weit umher, eine ſo ſchrecklich knappe und theure Zeit gab, daß viele Men- ſchen vor Hunger ſtarben: Denn der Schef- fel Roggen galt den, damals beinahe fuͤr unerſchwinglich gehaltenen Preis von einem Thaler acht Groſchen. Es kamen, von land- einwaͤrts her, viele arme Leute nach Colberg, die ihre kleinen hungrigen Wuͤrmer auf Schiebkarren mit ſich brachten, um Korn

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Zitationshilfe: Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/19>, abgerufen am 19.04.2024.