den und meine Thüre verliessen, oder viel- mehr der Vater sie heim holen ließ.
Noch vor Tages-Anbruch, am 1. Sep- tember, sah ich nach Wind und Wetter aus; und da beide günstig waren, so eilte ich be- reits um 6 Uhr, an Bord zu kommen. Schon stand es aber auf dem Licent-Platz und neben dem Schiffe gedrängt voll Menschen, die mir entgegenriefen: "Sie sollen uns die Madam W. herausgeben!" Dagegen fand ich am Borde, neben der Treppe, zwei Schild- wachen, und neben der Kajüten-Thüre zwei dergleichen, aufgepflanzt; und kaum war ich durch die Letztere eingetreten, so kam mir durch die Vorhänge meiner Schlafstelle ein Gesicht zum Vorschein, das ich um so weni- ger verkennen konnte, da ich sonst zum öftern in Schiffs-Angelegenheiten auf Herrn W ** s Comptoir zu thun gehabt hatte.
Dies Gesicht nun rief mir, ganz frei und und unbefangen, einen "Guten Morgen!" entgegen, den ich mit einer derben und ge- salzenen Epistel erwiederte, worinn ich ihr ihre lose Aufführung zu Gemüthe führte und sie ermahnte, zu ihrem braven Manne ste- henden Fußes zurückzukehren, bevor Schimpf und Schande für sie noch größer würde. Sie dagegen hub eine lange Schutzrede an, worinn der Mann übel genug wegkam, und ward endlich nur von dem Officier, den ich
den und meine Thuͤre verlieſſen, oder viel- mehr der Vater ſie heim holen ließ.
Noch vor Tages-Anbruch, am 1. Sep- tember, ſah ich nach Wind und Wetter aus; und da beide guͤnſtig waren, ſo eilte ich be- reits um 6 Uhr, an Bord zu kommen. Schon ſtand es aber auf dem Licent-Platz und neben dem Schiffe gedraͤngt voll Menſchen, die mir entgegenriefen: „Sie ſollen uns die Madam W. herausgeben!‟ Dagegen fand ich am Borde, neben der Treppe, zwei Schild- wachen, und neben der Kajuͤten-Thuͤre zwei dergleichen, aufgepflanzt; und kaum war ich durch die Letztere eingetreten, ſo kam mir durch die Vorhaͤnge meiner Schlafſtelle ein Geſicht zum Vorſchein, das ich um ſo weni- ger verkennen konnte, da ich ſonſt zum oͤftern in Schiffs-Angelegenheiten auf Herrn W ** s Comptoir zu thun gehabt hatte.
Dies Geſicht nun rief mir, ganz frei und und unbefangen, einen „Guten Morgen!‟ entgegen, den ich mit einer derben und ge- ſalzenen Epiſtel erwiederte, worinn ich ihr ihre loſe Auffuͤhrung zu Gemuͤthe fuͤhrte und ſie ermahnte, zu ihrem braven Manne ſte- henden Fußes zuruͤckzukehren, bevor Schimpf und Schande fuͤr ſie noch groͤßer wuͤrde. Sie dagegen hub eine lange Schutzrede an, worinn der Mann uͤbel genug wegkam, und ward endlich nur von dem Officier, den ich
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den und meine Thuͤre verlieſſen, oder viel-
mehr der Vater ſie heim holen ließ.
Noch vor Tages-Anbruch, am 1. Sep-
tember, ſah ich nach Wind und Wetter aus;
und da beide guͤnſtig waren, ſo eilte ich be-
reits um 6 Uhr, an Bord zu kommen. Schon
ſtand es aber auf dem Licent-Platz und neben
dem Schiffe gedraͤngt voll Menſchen, die
mir entgegenriefen: „Sie ſollen uns die
Madam W. herausgeben!‟ Dagegen fand
ich am Borde, neben der Treppe, zwei Schild-
wachen, und neben der Kajuͤten-Thuͤre zwei
dergleichen, aufgepflanzt; und kaum war ich
durch die Letztere eingetreten, ſo kam mir
durch die Vorhaͤnge meiner Schlafſtelle ein
Geſicht zum Vorſchein, das ich um ſo weni-
ger verkennen konnte, da ich ſonſt zum oͤftern
in Schiffs-Angelegenheiten auf Herrn W ** s
Comptoir zu thun gehabt hatte.
Dies Geſicht nun rief mir, ganz frei und
und unbefangen, einen „Guten Morgen!‟
entgegen, den ich mit einer derben und ge-
ſalzenen Epiſtel erwiederte, worinn ich ihr
ihre loſe Auffuͤhrung zu Gemuͤthe fuͤhrte und
ſie ermahnte, zu ihrem braven Manne ſte-
henden Fußes zuruͤckzukehren, bevor Schimpf
und Schande fuͤr ſie noch groͤßer wuͤrde.
Sie dagegen hub eine lange Schutzrede an,
worinn der Mann uͤbel genug wegkam, und
ward endlich nur von dem Officier, den ich
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/172>, abgerufen am 18.07.2024.
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