Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821.

Bild:
<< vorherige Seite

über Bord!" -- "Nun denn, nicht lange
besonnen! Frisch, daß wir ihm helfen!" --
Sogleich griff ich nach allem Tauwerk, das
mir zunächst zur Hand kam, und ließ die
Enden über Bord laufen, damit sich der Un-
glückliche vielleicht daran halten möchte.
Das Gleiche that ich hinten auf dem Ka-
jüten-Deck; aber immer noch, ohne zu wis-
sen, nach welcher Seite ich ihn eigentlich zu
suchen hatte, da das Schiff eine fliegende
Fahrt lief. Endlich nahm ich wahr, daß er
hinten im Kielwasser in die Höhe tauchte,
sich in einer Entfernung von zehn oder zwan-
zig Klaftern hinter dem Schiffe zum Schwim-
men umwarf und nun mit Macht zu Ru-
dern begann. Daß er ein fertiger Schwim-
mer sey, der in Ostindien wohl Strecken
von mehr als einer Viertelmeile zurückgelegt
habe, hatte er selbst mir oftmals erzählt,
und auch wohl hinzugesetzt: Er glaube gar
nicht, daß er ersaufen könne.

Sobald ich Seiner ansichtig wurde, holte
ich das Ruder nach der Steuerbord-Seite,
um das Schiff bei den Wind zu legen und
dadurch möglichst aufzuhalten. Jn dieser
Stellung aber legte es sich (da es ohnehin
der tiefen Ladung wegen nur wenig Bord
hielt) so übermäßig auf die Seite, daß so-
gar die Kajüten-Thüre unter Wasser ge-
rieth und dasselbe wie zu einer Schleuse

uͤber Bord!‟ — „Nun denn, nicht lange
beſonnen! Friſch, daß wir ihm helfen!‟ —
Sogleich griff ich nach allem Tauwerk, das
mir zunaͤchſt zur Hand kam, und ließ die
Enden uͤber Bord laufen, damit ſich der Un-
gluͤckliche vielleicht daran halten moͤchte.
Das Gleiche that ich hinten auf dem Ka-
juͤten-Deck; aber immer noch, ohne zu wiſ-
ſen, nach welcher Seite ich ihn eigentlich zu
ſuchen hatte, da das Schiff eine fliegende
Fahrt lief. Endlich nahm ich wahr, daß er
hinten im Kielwaſſer in die Hoͤhe tauchte,
ſich in einer Entfernung von zehn oder zwan-
zig Klaftern hinter dem Schiffe zum Schwim-
men umwarf und nun mit Macht zu Ru-
dern begann. Daß er ein fertiger Schwim-
mer ſey, der in Oſtindien wohl Strecken
von mehr als einer Viertelmeile zuruͤckgelegt
habe, hatte er ſelbſt mir oftmals erzaͤhlt,
und auch wohl hinzugeſetzt: Er glaube gar
nicht, daß er erſaufen koͤnne.

Sobald ich Seiner anſichtig wurde, holte
ich das Ruder nach der Steuerbord-Seite,
um das Schiff bei den Wind zu legen und
dadurch moͤglichſt aufzuhalten. Jn dieſer
Stellung aber legte es ſich (da es ohnehin
der tiefen Ladung wegen nur wenig Bord
hielt) ſo uͤbermaͤßig auf die Seite, daß ſo-
gar die Kajuͤten-Thuͤre unter Waſſer ge-
rieth und daſſelbe wie zu einer Schleuſe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0139" n="123"/>
u&#x0364;ber Bord!&#x201F; &#x2014; &#x201E;Nun denn, nicht lange<lb/>
be&#x017F;onnen! Fri&#x017F;ch, daß wir ihm helfen!&#x201F; &#x2014;<lb/>
Sogleich griff ich nach allem Tauwerk, das<lb/>
mir zuna&#x0364;ch&#x017F;t zur Hand kam, und ließ die<lb/>
Enden u&#x0364;ber Bord laufen, damit &#x017F;ich der Un-<lb/>
glu&#x0364;ckliche vielleicht daran halten mo&#x0364;chte.<lb/>
Das Gleiche that ich hinten auf dem Ka-<lb/>
ju&#x0364;ten-Deck; aber immer noch, ohne zu wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, nach welcher Seite ich ihn eigentlich zu<lb/>
&#x017F;uchen hatte, da das Schiff eine fliegende<lb/>
Fahrt lief. Endlich nahm ich wahr, daß er<lb/>
hinten im Kielwa&#x017F;&#x017F;er in die Ho&#x0364;he tauchte,<lb/>
&#x017F;ich in einer Entfernung von zehn oder zwan-<lb/>
zig Klaftern hinter dem Schiffe zum Schwim-<lb/>
men umwarf und nun mit Macht zu Ru-<lb/>
dern begann. Daß er ein fertiger Schwim-<lb/>
mer &#x017F;ey, der in O&#x017F;tindien wohl Strecken<lb/>
von mehr als einer Viertelmeile zuru&#x0364;ckgelegt<lb/>
habe, hatte er &#x017F;elb&#x017F;t mir oftmals erza&#x0364;hlt,<lb/>
und auch wohl hinzuge&#x017F;etzt: Er glaube gar<lb/>
nicht, daß er er&#x017F;aufen ko&#x0364;nne.</p><lb/>
        <p>Sobald ich Seiner an&#x017F;ichtig wurde, holte<lb/>
ich das Ruder nach der Steuerbord-Seite,<lb/>
um das Schiff bei den Wind zu legen und<lb/>
dadurch mo&#x0364;glich&#x017F;t aufzuhalten. Jn die&#x017F;er<lb/>
Stellung aber legte es &#x017F;ich (da es ohnehin<lb/>
der tiefen Ladung wegen nur wenig Bord<lb/>
hielt) &#x017F;o u&#x0364;berma&#x0364;ßig auf die Seite, daß &#x017F;o-<lb/>
gar die Kaju&#x0364;ten-Thu&#x0364;re unter Wa&#x017F;&#x017F;er ge-<lb/>
rieth und da&#x017F;&#x017F;elbe wie zu einer Schleu&#x017F;e<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0139] uͤber Bord!‟ — „Nun denn, nicht lange beſonnen! Friſch, daß wir ihm helfen!‟ — Sogleich griff ich nach allem Tauwerk, das mir zunaͤchſt zur Hand kam, und ließ die Enden uͤber Bord laufen, damit ſich der Un- gluͤckliche vielleicht daran halten moͤchte. Das Gleiche that ich hinten auf dem Ka- juͤten-Deck; aber immer noch, ohne zu wiſ- ſen, nach welcher Seite ich ihn eigentlich zu ſuchen hatte, da das Schiff eine fliegende Fahrt lief. Endlich nahm ich wahr, daß er hinten im Kielwaſſer in die Hoͤhe tauchte, ſich in einer Entfernung von zehn oder zwan- zig Klaftern hinter dem Schiffe zum Schwim- men umwarf und nun mit Macht zu Ru- dern begann. Daß er ein fertiger Schwim- mer ſey, der in Oſtindien wohl Strecken von mehr als einer Viertelmeile zuruͤckgelegt habe, hatte er ſelbſt mir oftmals erzaͤhlt, und auch wohl hinzugeſetzt: Er glaube gar nicht, daß er erſaufen koͤnne. Sobald ich Seiner anſichtig wurde, holte ich das Ruder nach der Steuerbord-Seite, um das Schiff bei den Wind zu legen und dadurch moͤglichſt aufzuhalten. Jn dieſer Stellung aber legte es ſich (da es ohnehin der tiefen Ladung wegen nur wenig Bord hielt) ſo uͤbermaͤßig auf die Seite, daß ſo- gar die Kajuͤten-Thuͤre unter Waſſer ge- rieth und daſſelbe wie zu einer Schleuſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/139
Zitationshilfe: Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/139>, abgerufen am 09.10.2024.