rung seiner drei Stände, die mit der verlangten Einheit des Staats so schlecht harmoniert; und daher die fernere, noch verwunderlichere Folge, dass er überhaupt keine aufsteigende Entwicklung anerkennen kann, jede Veränderung vielmehr nur Verschlechterung ist und also, da es sich auch unmöglich zeigt, die Veränderlichkeit ganz auszuschliessen, folgerecht eine lediglich absteigende Entwicklung vorausgesagt werden muss. Das Prinzip der Kontinuität verbietet aber vor allem diese starre Verteilung der Grundfunktionen an gänzlich ge- trennte Klassen. Es ist bei Plato, als ob nicht derselbe Mensch mit einem Organ diese, mit einem andern eine andre Funktion verrichten, sondern der eine ganz und nur Hirn, der andre nur Arm, ein dritter gar bloss Magen sein sollte. So schliesst Plato die Klasse der produktiven Arbeiter gänz- lich von jeder politischen Funktion (wenn man nicht etwa das blosse Gehorchen für eine solche ausgeben will), und gar auch von jeder geregelten geistigen Ausbildung aus, während um- gekehrt die regierende Klasse, lediglich der sozialen Arbeits- teilung halber, von jeder wirtschaftlichen Sorge entbunden sein soll. Statt dessen wäre die Folge des Kontinuitätsprinzips, dass von jeder sozialen Funktion zu jeder ein stetiger Ueber- gang und zwar grundsätzlich für jedes Glied der Gemeinschaft möglich wäre. Die sozialen Unterschiede würden dabei keines- wegs überhaupt nivelliert, wie es durch das Prinzip des Sozia- lismus in der That auch nicht gefordert wird. Man will doch Gemeinschaft; Gemeinschaft aber bedeutet weder Aufhebung der Individualität in einer starren, undifferenzierten Einheit, noch umgekehrt ein blosses Nebeneinanderstehen Einzelner unter einer nur äusserlich verbindenden Ordnung, sondern eine innerlich in Willen und Bewusstsein jedes Einzelnen gegrün- dete, also die Autonomie des Indidividuums keineswegs auf- hebende Einheit. Die heutige "Freiheit" des Individuums ver- zichtet dagegen auf diese innere Einheit und wird dadurch zur Desorganisation. In dieser entfaltet sich aber die echte geistige Individualität eben nicht, sondern das Leben mecha- nisiert sich und mechanisiert damit die Menschen; die gemein- schaftslose, bloss formal-rechtliche Freiheit gerade hat den
rung seiner drei Stände, die mit der verlangten Einheit des Staats so schlecht harmoniert; und daher die fernere, noch verwunderlichere Folge, dass er überhaupt keine aufsteigende Entwicklung anerkennen kann, jede Veränderung vielmehr nur Verschlechterung ist und also, da es sich auch unmöglich zeigt, die Veränderlichkeit ganz auszuschliessen, folgerecht eine lediglich absteigende Entwicklung vorausgesagt werden muss. Das Prinzip der Kontinuität verbietet aber vor allem diese starre Verteilung der Grundfunktionen an gänzlich ge- trennte Klassen. Es ist bei Plato, als ob nicht derselbe Mensch mit einem Organ diese, mit einem andern eine andre Funktion verrichten, sondern der eine ganz und nur Hirn, der andre nur Arm, ein dritter gar bloss Magen sein sollte. So schliesst Plato die Klasse der produktiven Arbeiter gänz- lich von jeder politischen Funktion (wenn man nicht etwa das blosse Gehorchen für eine solche ausgeben will), und gar auch von jeder geregelten geistigen Ausbildung aus, während um- gekehrt die regierende Klasse, lediglich der sozialen Arbeits- teilung halber, von jeder wirtschaftlichen Sorge entbunden sein soll. Statt dessen wäre die Folge des Kontinuitätsprinzips, dass von jeder sozialen Funktion zu jeder ein stetiger Ueber- gang und zwar grundsätzlich für jedes Glied der Gemeinschaft möglich wäre. Die sozialen Unterschiede würden dabei keines- wegs überhaupt nivelliert, wie es durch das Prinzip des Sozia- lismus in der That auch nicht gefordert wird. Man will doch Gemeinschaft; Gemeinschaft aber bedeutet weder Aufhebung der Individualität in einer starren, undifferenzierten Einheit, noch umgekehrt ein blosses Nebeneinanderstehen Einzelner unter einer nur äusserlich verbindenden Ordnung, sondern eine innerlich in Willen und Bewusstsein jedes Einzelnen gegrün- dete, also die Autonomie des Indidividuums keineswegs auf- hebende Einheit. Die heutige „Freiheit“ des Individuums ver- zichtet dagegen auf diese innere Einheit und wird dadurch zur Desorganisation. In dieser entfaltet sich aber die echte geistige Individualität eben nicht, sondern das Leben mecha- nisiert sich und mechanisiert damit die Menschen; die gemein- schaftslose, bloss formal-rechtliche Freiheit gerade hat den
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rung seiner drei Stände, die mit der verlangten Einheit des
Staats so schlecht harmoniert; und daher die fernere, noch
verwunderlichere Folge, dass er überhaupt keine aufsteigende
Entwicklung anerkennen kann, jede Veränderung vielmehr nur
Verschlechterung ist und also, da es sich auch unmöglich
zeigt, die Veränderlichkeit ganz auszuschliessen, folgerecht
eine lediglich absteigende Entwicklung vorausgesagt werden
muss. Das Prinzip der Kontinuität verbietet aber vor allem
diese starre Verteilung der Grundfunktionen an gänzlich ge-
trennte Klassen. Es ist bei Plato, als ob nicht derselbe
Mensch mit einem Organ diese, mit einem andern eine andre
Funktion verrichten, sondern der eine ganz und nur Hirn, der
andre nur Arm, ein dritter gar bloss Magen sein sollte.
So schliesst Plato die Klasse der produktiven Arbeiter gänz-
lich von jeder politischen Funktion (wenn man nicht etwa das
blosse Gehorchen für eine solche ausgeben will), und gar auch
von jeder geregelten geistigen Ausbildung aus, während um-
gekehrt die regierende Klasse, lediglich der sozialen Arbeits-
teilung halber, von jeder wirtschaftlichen Sorge entbunden
sein soll. Statt dessen wäre die Folge des Kontinuitätsprinzips,
dass von jeder sozialen Funktion zu jeder ein stetiger Ueber-
gang und zwar grundsätzlich für jedes Glied der Gemeinschaft
möglich wäre. Die sozialen Unterschiede würden dabei keines-
wegs überhaupt nivelliert, wie es durch das Prinzip des Sozia-
lismus in der That auch nicht gefordert wird. Man will doch
Gemeinschaft; Gemeinschaft aber bedeutet weder Aufhebung
der Individualität in einer starren, undifferenzierten Einheit,
noch umgekehrt ein blosses Nebeneinanderstehen Einzelner
unter einer nur äusserlich verbindenden Ordnung, sondern eine
innerlich in Willen und Bewusstsein jedes Einzelnen gegrün-
dete, also die Autonomie des Indidividuums keineswegs auf-
hebende Einheit. Die heutige „Freiheit“ des Individuums ver-
zichtet dagegen auf diese innere Einheit und wird dadurch
zur Desorganisation. In dieser entfaltet sich aber die echte
geistige Individualität eben nicht, sondern das Leben mecha-
nisiert sich und mechanisiert damit die Menschen; die gemein-
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/190>, abgerufen am 04.12.2024.
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