Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.Menschen zur Maschine gemacht; echte Gemeinschaft würde Endlich waltet dasselbe Gesetz höchst erkennbar in der Menschen zur Maschine gemacht; echte Gemeinschaft würde Endlich waltet dasselbe Gesetz höchst erkennbar in der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0191" n="175"/> Menschen zur Maschine gemacht; echte Gemeinschaft würde<lb/> im Gegenteil die Individualität entbinden. Indessen kann<lb/> man versuchen diesen augenblicklichen Zustand daraus zu<lb/> verstehen, dass unter der zu schnellen Erweiterung des tech-<lb/> nischen, wirtschaftlichen und sozialen Gesichtskreises die bis-<lb/> herigen Organisationen von ihrer bindenden Kraft schon viel<lb/> eingebüsst haben, während nicht ebenso schnell neue Organi-<lb/> sationen (die jedoch überall im Werden begriffen sind) sich<lb/> klar herausbilden und in den Gemütern der Menschen fest-<lb/> wurzeln konnten.</p><lb/> <p>Endlich waltet dasselbe Gesetz höchst erkennbar in der<lb/><hi rendition="#g">sittlichen</hi> Entwicklung. Hier ist völlig klar, wie das sitt-<lb/> liche Gesetz alles menschliche Bestreben mit schlechthin all-<lb/> gemeingültiger Norm umspannt, gerade durch die allgemeine<lb/> Ordnung der Zwecke aber wiederum jedem sittlich möglichen<lb/> Zwecke das Recht seiner Besonderheit gesichert, ja in weiter und<lb/> weiter gehender Besonderung eine <hi rendition="#g">allseitige Entfaltung<lb/> des Menschenwesens</hi> im lückenlosen <hi rendition="#g">Zusammenhang</hi><lb/> seiner verschiedenen Grundrichtungen ermöglicht wird. Ja<lb/> ganz allgemein darf dies als das <hi rendition="#g">Grundgesetz der mensch-<lb/> lichen Bildung</hi> ausgesprochen werden, die ja in der sitt-<lb/> lichen Ordnung der Zwecke ihr letztes Fundament hat: das<lb/> menschliche Wesen in dem ganzen Reichtum seines Gehalts<lb/> doch zugleich in Einheit und stetigem Zusammenhang darzu-<lb/> stellen und im gegebenen Subjekt nach dessen Vermögen der<lb/> Vollendung zu nähern. Mit wahrem philosophischem Tiefblick<lb/> hat unter den grossen Pädagogen <hi rendition="#g">Pestalozzi</hi> genau hierauf<lb/> seine Theorie gegründet. Seine obersten Grundsätze sind —<lb/> wie wenn er sie aus Kant abgeleitet hätte (was doch erweis-<lb/> lich nicht der Fall ist) —: die unteilbare <hi rendition="#g">Einheit</hi> und wesent-<lb/> liche Identität der menschlichen Grundkräfte; andrerseits deren<lb/> notwendig <hi rendition="#g">harmonische Entfaltung</hi> nach <hi rendition="#g">allen</hi> wesent-<lb/> lichen Richtungen, so dass keine einzelne Seite vergewaltigt<lb/> oder ungerecht bevorzugt wird; endlich der stetige, <hi rendition="#g">lücken-<lb/> lose Fortschritt</hi> von den elementarsten Anfängen bis zu<lb/> den höchsten Höhen des Menschentums. Und dem entspricht<lb/> in genauer Konsequenz, dass an solcher wahrhaft menschlichen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [175/0191]
Menschen zur Maschine gemacht; echte Gemeinschaft würde
im Gegenteil die Individualität entbinden. Indessen kann
man versuchen diesen augenblicklichen Zustand daraus zu
verstehen, dass unter der zu schnellen Erweiterung des tech-
nischen, wirtschaftlichen und sozialen Gesichtskreises die bis-
herigen Organisationen von ihrer bindenden Kraft schon viel
eingebüsst haben, während nicht ebenso schnell neue Organi-
sationen (die jedoch überall im Werden begriffen sind) sich
klar herausbilden und in den Gemütern der Menschen fest-
wurzeln konnten.
Endlich waltet dasselbe Gesetz höchst erkennbar in der
sittlichen Entwicklung. Hier ist völlig klar, wie das sitt-
liche Gesetz alles menschliche Bestreben mit schlechthin all-
gemeingültiger Norm umspannt, gerade durch die allgemeine
Ordnung der Zwecke aber wiederum jedem sittlich möglichen
Zwecke das Recht seiner Besonderheit gesichert, ja in weiter und
weiter gehender Besonderung eine allseitige Entfaltung
des Menschenwesens im lückenlosen Zusammenhang
seiner verschiedenen Grundrichtungen ermöglicht wird. Ja
ganz allgemein darf dies als das Grundgesetz der mensch-
lichen Bildung ausgesprochen werden, die ja in der sitt-
lichen Ordnung der Zwecke ihr letztes Fundament hat: das
menschliche Wesen in dem ganzen Reichtum seines Gehalts
doch zugleich in Einheit und stetigem Zusammenhang darzu-
stellen und im gegebenen Subjekt nach dessen Vermögen der
Vollendung zu nähern. Mit wahrem philosophischem Tiefblick
hat unter den grossen Pädagogen Pestalozzi genau hierauf
seine Theorie gegründet. Seine obersten Grundsätze sind —
wie wenn er sie aus Kant abgeleitet hätte (was doch erweis-
lich nicht der Fall ist) —: die unteilbare Einheit und wesent-
liche Identität der menschlichen Grundkräfte; andrerseits deren
notwendig harmonische Entfaltung nach allen wesent-
lichen Richtungen, so dass keine einzelne Seite vergewaltigt
oder ungerecht bevorzugt wird; endlich der stetige, lücken-
lose Fortschritt von den elementarsten Anfängen bis zu
den höchsten Höhen des Menschentums. Und dem entspricht
in genauer Konsequenz, dass an solcher wahrhaft menschlichen
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