sozialen Funktionen allein betont; das wird dann von der einen Seite leicht über Gebühr gepriesen, und von der andern gescholten als Ertötung aller Individualität. In Wahrheit würde (wie auch oft genug schon gesagt worden ist) gerade die einheitlichere Lösung der nächsten, dringlichsten Aufgaben sozialer Organisation eine desto weitergehende Individualisierung auf der andern Seite möglich machen, ja zu ihrer eigenen Durchsetzung und Aufrechthaltung erfordern; an der dagegen bei der bis jetzt überwiegenden Desorganisation der Wirt- schaft wahrlich kein Ueberfluss, sondern empfindlichster Mangel ist. Die durch bessere Organisation erleichterte Befriedigung der nächsten rohesten Bedürfnisse würde gerade Raum schaffen für eine individuell freiere Bethätigung in allem, was über die unmittelbare Notdurft hinausgeht. Gerade der unbegrenzte ökonomische Individualismus müsste auf die Länge den Men- schen uniformieren, den Arbeiter nicht bloss, sondern auch den Unternehmer zum Sklaven seiner Arbeit machen; wäh- rend eine organischere soziale Ordnung eine bis jetzt unmög- liche Entfaltung der Individualität erst möglich machen würde.*) Hier haben wir Generalisation und Individualisation; und die Vermittlung, die man vermisste, liegt auch hier in der Kon- tinuität: je reicher die Individualitäten sich entwickeln, umso mehr wird die eine neben der andern Raum haben, umso voll- ständiger die Lücken und Klüfte sich schliessen, die jetzt die verschiedenen sozialen Klassen und Unterklassen und wieder Unterklassen der Unterklassen innerlich oft mehr auseinander- halten als wenn turmhohe Mauern zwischen ihnen errichtet wären. Diese Diskontinuität ist das auffallendste Krankheits- symptom des gegenwärtigen, schwierigen Uebergangsstadiums. Aber auch Platos Entwurf verfehlte es durch auffällige Ver- nachlässigung der sozialen Kontinuität. Ihm sind die sozialen Funktionen ganz unsozial wie mit dem Beil auseinanderge- schlagen, ohne Uebergänge, ohne wirklichen, inneren Zusam- menhalt, starr und unbiegsam; daher die kastenartige Sonde-
*) S. die Vergleichung von Morus (Utopia) mit Fr. Engels, bei Stammler S. 663.
sozialen Funktionen allein betont; das wird dann von der einen Seite leicht über Gebühr gepriesen, und von der andern gescholten als Ertötung aller Individualität. In Wahrheit würde (wie auch oft genug schon gesagt worden ist) gerade die einheitlichere Lösung der nächsten, dringlichsten Aufgaben sozialer Organisation eine desto weitergehende Individualisierung auf der andern Seite möglich machen, ja zu ihrer eigenen Durchsetzung und Aufrechthaltung erfordern; an der dagegen bei der bis jetzt überwiegenden Desorganisation der Wirt- schaft wahrlich kein Ueberfluss, sondern empfindlichster Mangel ist. Die durch bessere Organisation erleichterte Befriedigung der nächsten rohesten Bedürfnisse würde gerade Raum schaffen für eine individuell freiere Bethätigung in allem, was über die unmittelbare Notdurft hinausgeht. Gerade der unbegrenzte ökonomische Individualismus müsste auf die Länge den Men- schen uniformieren, den Arbeiter nicht bloss, sondern auch den Unternehmer zum Sklaven seiner Arbeit machen; wäh- rend eine organischere soziale Ordnung eine bis jetzt unmög- liche Entfaltung der Individualität erst möglich machen würde.*) Hier haben wir Generalisation und Individualisation; und die Vermittlung, die man vermisste, liegt auch hier in der Kon- tinuität: je reicher die Individualitäten sich entwickeln, umso mehr wird die eine neben der andern Raum haben, umso voll- ständiger die Lücken und Klüfte sich schliessen, die jetzt die verschiedenen sozialen Klassen und Unterklassen und wieder Unterklassen der Unterklassen innerlich oft mehr auseinander- halten als wenn turmhohe Mauern zwischen ihnen errichtet wären. Diese Diskontinuität ist das auffallendste Krankheits- symptom des gegenwärtigen, schwierigen Uebergangsstadiums. Aber auch Platos Entwurf verfehlte es durch auffällige Ver- nachlässigung der sozialen Kontinuität. Ihm sind die sozialen Funktionen ganz unsozial wie mit dem Beil auseinanderge- schlagen, ohne Uebergänge, ohne wirklichen, inneren Zusam- menhalt, starr und unbiegsam; daher die kastenartige Sonde-
*) S. die Vergleichung von Morus (Utopia) mit Fr. Engels, bei Stammler S. 663.
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sozialen Funktionen allein betont; das wird dann von der
einen Seite leicht über Gebühr gepriesen, und von der andern
gescholten als Ertötung aller Individualität. In Wahrheit
würde (wie auch oft genug schon gesagt worden ist) gerade
die einheitlichere Lösung der nächsten, dringlichsten Aufgaben
sozialer Organisation eine desto weitergehende Individualisierung
auf der andern Seite möglich machen, ja zu ihrer eigenen
Durchsetzung und Aufrechthaltung erfordern; an der dagegen
bei der bis jetzt überwiegenden Desorganisation der Wirt-
schaft wahrlich kein Ueberfluss, sondern empfindlichster Mangel
ist. Die durch bessere Organisation erleichterte Befriedigung
der nächsten rohesten Bedürfnisse würde gerade Raum schaffen
für eine individuell freiere Bethätigung in allem, was über
die unmittelbare Notdurft hinausgeht. Gerade der unbegrenzte
ökonomische Individualismus müsste auf die Länge den Men-
schen uniformieren, den Arbeiter nicht bloss, sondern auch
den Unternehmer zum Sklaven seiner Arbeit machen; wäh-
rend eine organischere soziale Ordnung eine bis jetzt unmög-
liche Entfaltung der Individualität erst möglich machen würde. *)
Hier haben wir Generalisation und Individualisation; und die
Vermittlung, die man vermisste, liegt auch hier in der Kon-
tinuität: je reicher die Individualitäten sich entwickeln, umso
mehr wird die eine neben der andern Raum haben, umso voll-
ständiger die Lücken und Klüfte sich schliessen, die jetzt die
verschiedenen sozialen Klassen und Unterklassen und wieder
Unterklassen der Unterklassen innerlich oft mehr auseinander-
halten als wenn turmhohe Mauern zwischen ihnen errichtet
wären. Diese Diskontinuität ist das auffallendste Krankheits-
symptom des gegenwärtigen, schwierigen Uebergangsstadiums.
Aber auch Platos Entwurf verfehlte es durch auffällige Ver-
nachlässigung der sozialen Kontinuität. Ihm sind die sozialen
Funktionen ganz unsozial wie mit dem Beil auseinanderge-
schlagen, ohne Uebergänge, ohne wirklichen, inneren Zusam-
menhalt, starr und unbiegsam; daher die kastenartige Sonde-
*) S. die Vergleichung von Morus (Utopia) mit Fr. Engels, bei
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/189>, abgerufen am 04.12.2024.
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