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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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sich fort und fort wiedererzeugen muss. Die Gemein-
schaft der Arbeit, durch gemeinschaftlichen Willen geregelt
nach gemeinschaftlicher Vernunft ist ja nicht ein Geschenk
der Natur noch ein ein für allemal fertiges Ergebnis
menschlicher That, sondern verlangt immer erst wieder ge-
staltet
, in Bewusstsein und That der Menschheit wieder-
und wiedergeboren, als ihr ewiges Werk in unablässigem
Ringen neu und neu hervorgebracht zu werden. Dadurch
rechtfertigt sich erst ganz der Ausdruck "soziales Leben".
In der That nicht anders als die beständige und notwendige
Arbeit des lebenden Organismus die Reproduktion des Orga-
nismus selbst in seinen wesentlichen Funktionen ist, so ist
das beständige und notwendige Werk der Gemeinschaft die
Reproduktion der Gemeinschaft selbst in ihren bezüglichen
Grundfunktionen. Und besonders in Hinsicht dieser beständi-
gen Reproduktion müssen denn wohl irgendwie die Thätig-
keiten sich scheiden, die gerichtet sind auf die beständige Re-
produktion der sozialen Triebthätigkeit, des sozialen Willens,
der sozialen Vernunft. Zwar müssen die bezüglichen Thätig-
keiten darum nicht weniger ineinandergreifen; aber sie bleiben
durch die Richtung, die sie je auf ihren eigentümlichen Zweck
innehalten, dem Begriff und beherrschenden Prinzip nach
immer von einander geschieden.

Und so würden wir, auch wenn nicht die Jahrtausende
der Menschengeschichte uns Zeugnis gäben, rein aus unserm
Prinzip ebenso viele selbständige, in sich geschlossene
Grundklassen sozialer Thätigkeiten
aufzustellen haben,
in denen sich je einer der Grundbestandteile sozialer Thätigkeit
überhaupt in bestimmender Weise ausprägt. Wir bezeichnen
sie als die Klassen der wirtschaftlichen, der regierenden
und der bildenden Thätigkeiten.

Die wirtschaftliche Thätigkeit muss, unsrer Aufstellung
zufolge, der eigentümlichen Funktion des Trieblebens, der ge-
meinschaftlichen Arbeit, nämlich unmittelbaren Arbeit, in dem
Sinne entsprechen, dass sie zugleich und besonders die be-
ständige Reproduktion dieser Arbeit vertritt.

Das objektive Korrelat des Triebes ist überhaupt die

sich fort und fort wiedererzeugen muss. Die Gemein-
schaft der Arbeit, durch gemeinschaftlichen Willen geregelt
nach gemeinschaftlicher Vernunft ist ja nicht ein Geschenk
der Natur noch ein ein für allemal fertiges Ergebnis
menschlicher That, sondern verlangt immer erst wieder ge-
staltet
, in Bewusstsein und That der Menschheit wieder-
und wiedergeboren, als ihr ewiges Werk in unablässigem
Ringen neu und neu hervorgebracht zu werden. Dadurch
rechtfertigt sich erst ganz der Ausdruck „soziales Leben“.
In der That nicht anders als die beständige und notwendige
Arbeit des lebenden Organismus die Reproduktion des Orga-
nismus selbst in seinen wesentlichen Funktionen ist, so ist
das beständige und notwendige Werk der Gemeinschaft die
Reproduktion der Gemeinschaft selbst in ihren bezüglichen
Grundfunktionen. Und besonders in Hinsicht dieser beständi-
gen Reproduktion müssen denn wohl irgendwie die Thätig-
keiten sich scheiden, die gerichtet sind auf die beständige Re-
produktion der sozialen Triebthätigkeit, des sozialen Willens,
der sozialen Vernunft. Zwar müssen die bezüglichen Thätig-
keiten darum nicht weniger ineinandergreifen; aber sie bleiben
durch die Richtung, die sie je auf ihren eigentümlichen Zweck
innehalten, dem Begriff und beherrschenden Prinzip nach
immer von einander geschieden.

Und so würden wir, auch wenn nicht die Jahrtausende
der Menschengeschichte uns Zeugnis gäben, rein aus unserm
Prinzip ebenso viele selbständige, in sich geschlossene
Grundklassen sozialer Thätigkeiten
aufzustellen haben,
in denen sich je einer der Grundbestandteile sozialer Thätigkeit
überhaupt in bestimmender Weise ausprägt. Wir bezeichnen
sie als die Klassen der wirtschaftlichen, der regierenden
und der bildenden Thätigkeiten.

Die wirtschaftliche Thätigkeit muss, unsrer Aufstellung
zufolge, der eigentümlichen Funktion des Trieblebens, der ge-
meinschaftlichen Arbeit, nämlich unmittelbaren Arbeit, in dem
Sinne entsprechen, dass sie zugleich und besonders die be-
ständige Reproduktion dieser Arbeit vertritt.

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[149/0165] sich fort und fort wiedererzeugen muss. Die Gemein- schaft der Arbeit, durch gemeinschaftlichen Willen geregelt nach gemeinschaftlicher Vernunft ist ja nicht ein Geschenk der Natur noch ein ein für allemal fertiges Ergebnis menschlicher That, sondern verlangt immer erst wieder ge- staltet, in Bewusstsein und That der Menschheit wieder- und wiedergeboren, als ihr ewiges Werk in unablässigem Ringen neu und neu hervorgebracht zu werden. Dadurch rechtfertigt sich erst ganz der Ausdruck „soziales Leben“. In der That nicht anders als die beständige und notwendige Arbeit des lebenden Organismus die Reproduktion des Orga- nismus selbst in seinen wesentlichen Funktionen ist, so ist das beständige und notwendige Werk der Gemeinschaft die Reproduktion der Gemeinschaft selbst in ihren bezüglichen Grundfunktionen. Und besonders in Hinsicht dieser beständi- gen Reproduktion müssen denn wohl irgendwie die Thätig- keiten sich scheiden, die gerichtet sind auf die beständige Re- produktion der sozialen Triebthätigkeit, des sozialen Willens, der sozialen Vernunft. Zwar müssen die bezüglichen Thätig- keiten darum nicht weniger ineinandergreifen; aber sie bleiben durch die Richtung, die sie je auf ihren eigentümlichen Zweck innehalten, dem Begriff und beherrschenden Prinzip nach immer von einander geschieden. Und so würden wir, auch wenn nicht die Jahrtausende der Menschengeschichte uns Zeugnis gäben, rein aus unserm Prinzip ebenso viele selbständige, in sich geschlossene Grundklassen sozialer Thätigkeiten aufzustellen haben, in denen sich je einer der Grundbestandteile sozialer Thätigkeit überhaupt in bestimmender Weise ausprägt. Wir bezeichnen sie als die Klassen der wirtschaftlichen, der regierenden und der bildenden Thätigkeiten. Die wirtschaftliche Thätigkeit muss, unsrer Aufstellung zufolge, der eigentümlichen Funktion des Trieblebens, der ge- meinschaftlichen Arbeit, nämlich unmittelbaren Arbeit, in dem Sinne entsprechen, dass sie zugleich und besonders die be- ständige Reproduktion dieser Arbeit vertritt. Das objektive Korrelat des Triebes ist überhaupt die

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/165>, abgerufen am 29.11.2024.