Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

ausdenkbare Vorstellung der Teilung der Arbeit selbst -- ge-
setzt auch dass dieselben Personen an mehreren Arbeitsarten
beteiligt sein sollten, was Plato ebenfalls ausschliesst -- dass
je in einer besonderen sozialen Thätigkeit oder Klasse von
Thätigkeiten eine der Grundbedingungen der sozialen Thätig-
keit überhaupt mit Ausschluss der übrigen sich dar-
stellen sollte. Plato dachte die menschliche Psyche gewalt-
sam zusammengeschweisst aus drei, nicht Grundkräften,
sondern sozusagen selbständigen Wesen, die nur teilweise mit,
fast mehr gegen einander wirkten. Daraus folgten dann drei
Berufsklassen, Stände oder eigentlich Kasten, deren niederste
nur durch die absolute geistige und militärische Obergewalt
der beiden andern niedergehalten wurde. Die Stelle dieser
psychologischen "Teile" der Seele, die sich nur sehr künstlich
auf den sozialen Organismus übertragen liessen, vertreten bei
uns die rein objektiv definierten Begriffe des sozialen Trieb-
einsatzes, der sozialen Willensregel und des sozialen Vernunft-
gesetzes. An diesen ist die notwendige Wechselbeziehung so-
fort klar; denn was ist die Willensregel, wenn nicht Regel
für Arbeit, was das Vernunftgesetz, wenn nicht Gesetz der
Willensregelung, und durch diese wiederum der Arbeit?

Inwiefern werden nun gleichwohl diesen so untrennbaren
Bestandteilen der sozialen Thätigkeit irgendwie gesonderte
Funktionen entsprechen? Nur so, dass jede Funktion alle
drei Grundteile zwar einschliesst, aber je eine von ihnen zum
bestimmenden Zweck hat, während die andern als blosse
Mittel diesem einzigen Zwecke untergeordnet bleiben. So lassen
sich im körperlichen Organismus sehr wohl nutritive, motorische,
sensorische Organe unterscheiden, auch wenn etwa jedes von
ihnen an mehreren dieser Funktionen, vielleicht an allen dreien,
teilhat; wofern nur eine sichere Unterordnung nach dem
Verhältnis von Mittel und Zweck
möglich ist.

Dass nun in dieser Weise jedem der drei Grundfaktoren
sozialer Thätigkeit eine eigentümliche soziale Funktion oder
Klasse von Funktionen wirklich entsprechen muss, wird be-
sonders klar durch die ferner hier eingreifende Erwägung,
dass das soziale Leben in eben diesen seinen drei Grundteilen

ausdenkbare Vorstellung der Teilung der Arbeit selbst — ge-
setzt auch dass dieselben Personen an mehreren Arbeitsarten
beteiligt sein sollten, was Plato ebenfalls ausschliesst — dass
je in einer besonderen sozialen Thätigkeit oder Klasse von
Thätigkeiten eine der Grundbedingungen der sozialen Thätig-
keit überhaupt mit Ausschluss der übrigen sich dar-
stellen sollte. Plato dachte die menschliche Psyche gewalt-
sam zusammengeschweisst aus drei, nicht Grundkräften,
sondern sozusagen selbständigen Wesen, die nur teilweise mit,
fast mehr gegen einander wirkten. Daraus folgten dann drei
Berufsklassen, Stände oder eigentlich Kasten, deren niederste
nur durch die absolute geistige und militärische Obergewalt
der beiden andern niedergehalten wurde. Die Stelle dieser
psychologischen „Teile“ der Seele, die sich nur sehr künstlich
auf den sozialen Organismus übertragen liessen, vertreten bei
uns die rein objektiv definierten Begriffe des sozialen Trieb-
einsatzes, der sozialen Willensregel und des sozialen Vernunft-
gesetzes. An diesen ist die notwendige Wechselbeziehung so-
fort klar; denn was ist die Willensregel, wenn nicht Regel
für Arbeit, was das Vernunftgesetz, wenn nicht Gesetz der
Willensregelung, und durch diese wiederum der Arbeit?

Inwiefern werden nun gleichwohl diesen so untrennbaren
Bestandteilen der sozialen Thätigkeit irgendwie gesonderte
Funktionen entsprechen? Nur so, dass jede Funktion alle
drei Grundteile zwar einschliesst, aber je eine von ihnen zum
bestimmenden Zweck hat, während die andern als blosse
Mittel diesem einzigen Zwecke untergeordnet bleiben. So lassen
sich im körperlichen Organismus sehr wohl nutritive, motorische,
sensorische Organe unterscheiden, auch wenn etwa jedes von
ihnen an mehreren dieser Funktionen, vielleicht an allen dreien,
teilhat; wofern nur eine sichere Unterordnung nach dem
Verhältnis von Mittel und Zweck
möglich ist.

Dass nun in dieser Weise jedem der drei Grundfaktoren
sozialer Thätigkeit eine eigentümliche soziale Funktion oder
Klasse von Funktionen wirklich entsprechen muss, wird be-
sonders klar durch die ferner hier eingreifende Erwägung,
dass das soziale Leben in eben diesen seinen drei Grundteilen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0164" n="148"/>
ausdenkbare Vorstellung der Teilung der Arbeit selbst &#x2014; ge-<lb/>
setzt auch dass dieselben Personen an mehreren Arbeitsarten<lb/>
beteiligt sein sollten, was Plato ebenfalls ausschliesst &#x2014; dass<lb/>
je in einer besonderen sozialen Thätigkeit oder Klasse von<lb/>
Thätigkeiten eine der Grundbedingungen der sozialen Thätig-<lb/>
keit <hi rendition="#g">überhaupt mit Ausschluss der übrigen</hi> sich dar-<lb/>
stellen sollte. Plato dachte die menschliche Psyche gewalt-<lb/>
sam zusammengeschweisst aus drei, nicht Grundkräften,<lb/>
sondern sozusagen selbständigen Wesen, die nur teilweise mit,<lb/>
fast mehr gegen einander wirkten. Daraus folgten dann drei<lb/>
Berufsklassen, Stände oder eigentlich Kasten, deren niederste<lb/>
nur durch die absolute geistige und militärische Obergewalt<lb/>
der beiden andern niedergehalten wurde. Die Stelle dieser<lb/>
psychologischen &#x201E;Teile&#x201C; der Seele, die sich nur sehr künstlich<lb/>
auf den sozialen Organismus übertragen liessen, vertreten bei<lb/>
uns die rein objektiv definierten Begriffe des sozialen Trieb-<lb/>
einsatzes, der sozialen Willensregel und des sozialen Vernunft-<lb/>
gesetzes. An diesen ist die notwendige Wechselbeziehung so-<lb/>
fort klar; denn was ist die Willensregel, wenn nicht Regel<lb/>
für Arbeit, was das Vernunftgesetz, wenn nicht Gesetz der<lb/>
Willensregelung, und durch diese wiederum der Arbeit?</p><lb/>
          <p>Inwiefern werden nun gleichwohl diesen so untrennbaren<lb/>
Bestandteilen der sozialen Thätigkeit irgendwie gesonderte<lb/>
Funktionen entsprechen? Nur so, dass jede Funktion alle<lb/>
drei Grundteile zwar einschliesst, aber je eine von ihnen zum<lb/><hi rendition="#g">bestimmenden Zweck</hi> hat, während die andern als blosse<lb/>
Mittel diesem einzigen Zwecke untergeordnet bleiben. So lassen<lb/>
sich im körperlichen Organismus sehr wohl nutritive, motorische,<lb/>
sensorische Organe unterscheiden, auch wenn etwa jedes von<lb/>
ihnen an mehreren dieser Funktionen, vielleicht an allen dreien,<lb/>
teilhat; wofern nur eine sichere <hi rendition="#g">Unterordnung nach dem<lb/>
Verhältnis von Mittel und Zweck</hi> möglich ist.</p><lb/>
          <p>Dass nun in dieser Weise jedem der drei Grundfaktoren<lb/>
sozialer Thätigkeit eine eigentümliche soziale Funktion oder<lb/>
Klasse von Funktionen wirklich entsprechen muss, wird be-<lb/>
sonders klar durch die ferner hier eingreifende Erwägung,<lb/>
dass das soziale Leben in eben diesen seinen drei Grundteilen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[148/0164] ausdenkbare Vorstellung der Teilung der Arbeit selbst — ge- setzt auch dass dieselben Personen an mehreren Arbeitsarten beteiligt sein sollten, was Plato ebenfalls ausschliesst — dass je in einer besonderen sozialen Thätigkeit oder Klasse von Thätigkeiten eine der Grundbedingungen der sozialen Thätig- keit überhaupt mit Ausschluss der übrigen sich dar- stellen sollte. Plato dachte die menschliche Psyche gewalt- sam zusammengeschweisst aus drei, nicht Grundkräften, sondern sozusagen selbständigen Wesen, die nur teilweise mit, fast mehr gegen einander wirkten. Daraus folgten dann drei Berufsklassen, Stände oder eigentlich Kasten, deren niederste nur durch die absolute geistige und militärische Obergewalt der beiden andern niedergehalten wurde. Die Stelle dieser psychologischen „Teile“ der Seele, die sich nur sehr künstlich auf den sozialen Organismus übertragen liessen, vertreten bei uns die rein objektiv definierten Begriffe des sozialen Trieb- einsatzes, der sozialen Willensregel und des sozialen Vernunft- gesetzes. An diesen ist die notwendige Wechselbeziehung so- fort klar; denn was ist die Willensregel, wenn nicht Regel für Arbeit, was das Vernunftgesetz, wenn nicht Gesetz der Willensregelung, und durch diese wiederum der Arbeit? Inwiefern werden nun gleichwohl diesen so untrennbaren Bestandteilen der sozialen Thätigkeit irgendwie gesonderte Funktionen entsprechen? Nur so, dass jede Funktion alle drei Grundteile zwar einschliesst, aber je eine von ihnen zum bestimmenden Zweck hat, während die andern als blosse Mittel diesem einzigen Zwecke untergeordnet bleiben. So lassen sich im körperlichen Organismus sehr wohl nutritive, motorische, sensorische Organe unterscheiden, auch wenn etwa jedes von ihnen an mehreren dieser Funktionen, vielleicht an allen dreien, teilhat; wofern nur eine sichere Unterordnung nach dem Verhältnis von Mittel und Zweck möglich ist. Dass nun in dieser Weise jedem der drei Grundfaktoren sozialer Thätigkeit eine eigentümliche soziale Funktion oder Klasse von Funktionen wirklich entsprechen muss, wird be- sonders klar durch die ferner hier eingreifende Erwägung, dass das soziale Leben in eben diesen seinen drei Grundteilen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/164
Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/164>, abgerufen am 07.05.2024.