Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

die Frau herein, die immer an Günther abgeschickt
war, und ruft: Er kommt, er kommt! Gretchen will
schnell gehen, aber der Mann steht in der Thür, ehe
sie sich dessen versieht. Er geht an das Bett, die
Kranke hat sich zu ihm gewendet und sagt: Ich sterbe
nun, -- und dazu weint sie bitterlich. -- Das ist
meine Schuld nicht! entgegnet er barsch, und ich bin
heute gekommen, damit die Lauferei endlich ein Ende
hat. Was willst Du nun? ich habe nicht viel Zeit
hier zu stehen. -- Du hast mich so elend umkommen
lassen, schluchzt die Kranke wieder. -- Ich? ruft er
da und setzt ihr auseinander, was er alles gegeben;
seine Schuld sei es nicht, daß sie krank geworden, und
sie habe Verwandte, die mehr hätten als er, die soll¬
ten sich nur um sie bekümmern. -- Die Kranke kann
vor Weinen nicht sprechen, sie will seine Hand neh¬
men, er aber zieht sich zurück. Da kann sich Gret¬
chen nicht mehr halten, tritt zu ihm, nimmt seine
Hand und legt sie in die der Kranken und sagt: Das
sind Alles unnütze Reden, die Arme wird nicht lange
mehr leben und wollte nur Trostworte, und nicht so
harte Worte von Ihnen hören. -- Er ist ganz er¬
schrocken, denn er hat Gretchen im ersten Eifer nicht
gesehen, und führt nun eine andere Sprache und läßt
auch einiges Geld dort. Nach zwei Tagen war das
Mädchen todt.

Die Tante schwieg. Klärchen war in höchster
Aufregung. Sprechen konnte sie nicht; sie reichte der
Tante die Hand und stürzte zum Zimmer hinaus.
Die Tante wollte ihr nachrufen, aber sie hörte nicht,
sie lief mit eilenden Schritten über die Straße und

die Frau herein, die immer an Günther abgeſchickt
war, und ruft: Er kommt, er kommt! Gretchen will
ſchnell gehen, aber der Mann ſteht in der Thür, ehe
ſie ſich deſſen verſieht. Er geht an das Bett, die
Kranke hat ſich zu ihm gewendet und ſagt: Ich ſterbe
nun, — und dazu weint ſie bitterlich. — Das iſt
meine Schuld nicht! entgegnet er barſch, und ich bin
heute gekommen, damit die Lauferei endlich ein Ende
hat. Was willſt Du nun? ich habe nicht viel Zeit
hier zu ſtehen. — Du haſt mich ſo elend umkommen
laſſen, ſchluchzt die Kranke wieder. — Ich? ruft er
da und ſetzt ihr auseinander, was er alles gegeben;
ſeine Schuld ſei es nicht, daß ſie krank geworden, und
ſie habe Verwandte, die mehr hätten als er, die ſoll¬
ten ſich nur um ſie bekümmern. — Die Kranke kann
vor Weinen nicht ſprechen, ſie will ſeine Hand neh¬
men, er aber zieht ſich zurück. Da kann ſich Gret¬
chen nicht mehr halten, tritt zu ihm, nimmt ſeine
Hand und legt ſie in die der Kranken und ſagt: Das
ſind Alles unnütze Reden, die Arme wird nicht lange
mehr leben und wollte nur Troſtworte, und nicht ſo
harte Worte von Ihnen hören. — Er iſt ganz er¬
ſchrocken, denn er hat Gretchen im erſten Eifer nicht
geſehen, und führt nun eine andere Sprache und läßt
auch einiges Geld dort. Nach zwei Tagen war das
Mädchen todt.

Die Tante ſchwieg. Klärchen war in höchſter
Aufregung. Sprechen konnte ſie nicht; ſie reichte der
Tante die Hand und ſtürzte zum Zimmer hinaus.
Die Tante wollte ihr nachrufen, aber ſie hörte nicht,
ſie lief mit eilenden Schritten über die Straße und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0093" n="87"/>
die Frau herein, die immer an Günther abge&#x017F;chickt<lb/>
war, und ruft: Er kommt, er kommt! Gretchen will<lb/>
&#x017F;chnell gehen, aber der Mann &#x017F;teht in der Thür, ehe<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich de&#x017F;&#x017F;en ver&#x017F;ieht. Er geht an das Bett, die<lb/>
Kranke hat &#x017F;ich zu ihm gewendet und &#x017F;agt: Ich &#x017F;terbe<lb/>
nun, &#x2014; und dazu weint &#x017F;ie bitterlich. &#x2014; Das i&#x017F;t<lb/>
meine Schuld nicht! entgegnet er bar&#x017F;ch, und ich bin<lb/>
heute gekommen, damit die Lauferei endlich ein Ende<lb/>
hat. Was will&#x017F;t Du nun? ich habe nicht viel Zeit<lb/>
hier zu &#x017F;tehen. &#x2014; Du ha&#x017F;t mich &#x017F;o elend umkommen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;chluchzt die Kranke wieder. &#x2014; Ich? ruft er<lb/>
da und &#x017F;etzt ihr auseinander, was er alles gegeben;<lb/>
&#x017F;eine Schuld &#x017F;ei es nicht, daß &#x017F;ie krank geworden, und<lb/>
&#x017F;ie habe Verwandte, die mehr hätten als er, die &#x017F;oll¬<lb/>
ten &#x017F;ich nur um &#x017F;ie bekümmern. &#x2014; Die Kranke kann<lb/>
vor Weinen nicht &#x017F;prechen, &#x017F;ie will &#x017F;eine Hand neh¬<lb/>
men, er aber zieht &#x017F;ich zurück. Da kann &#x017F;ich Gret¬<lb/>
chen nicht mehr halten, tritt zu ihm, nimmt &#x017F;eine<lb/>
Hand und legt &#x017F;ie in die der Kranken und &#x017F;agt: Das<lb/>
&#x017F;ind Alles unnütze Reden, die Arme wird nicht lange<lb/>
mehr leben und wollte nur Tro&#x017F;tworte, und nicht &#x017F;o<lb/>
harte Worte von Ihnen hören. &#x2014; Er i&#x017F;t ganz er¬<lb/>
&#x017F;chrocken, denn er hat Gretchen im er&#x017F;ten Eifer nicht<lb/>
ge&#x017F;ehen, und führt nun eine andere Sprache und läßt<lb/>
auch einiges Geld dort. Nach zwei Tagen war das<lb/>
Mädchen todt.</p><lb/>
      <p>Die Tante &#x017F;chwieg. Klärchen war in höch&#x017F;ter<lb/>
Aufregung. Sprechen konnte &#x017F;ie nicht; &#x017F;ie reichte der<lb/>
Tante die Hand und &#x017F;türzte zum Zimmer hinaus.<lb/>
Die Tante wollte ihr nachrufen, aber &#x017F;ie hörte nicht,<lb/>
&#x017F;ie lief mit eilenden Schritten über die Straße und<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0093] die Frau herein, die immer an Günther abgeſchickt war, und ruft: Er kommt, er kommt! Gretchen will ſchnell gehen, aber der Mann ſteht in der Thür, ehe ſie ſich deſſen verſieht. Er geht an das Bett, die Kranke hat ſich zu ihm gewendet und ſagt: Ich ſterbe nun, — und dazu weint ſie bitterlich. — Das iſt meine Schuld nicht! entgegnet er barſch, und ich bin heute gekommen, damit die Lauferei endlich ein Ende hat. Was willſt Du nun? ich habe nicht viel Zeit hier zu ſtehen. — Du haſt mich ſo elend umkommen laſſen, ſchluchzt die Kranke wieder. — Ich? ruft er da und ſetzt ihr auseinander, was er alles gegeben; ſeine Schuld ſei es nicht, daß ſie krank geworden, und ſie habe Verwandte, die mehr hätten als er, die ſoll¬ ten ſich nur um ſie bekümmern. — Die Kranke kann vor Weinen nicht ſprechen, ſie will ſeine Hand neh¬ men, er aber zieht ſich zurück. Da kann ſich Gret¬ chen nicht mehr halten, tritt zu ihm, nimmt ſeine Hand und legt ſie in die der Kranken und ſagt: Das ſind Alles unnütze Reden, die Arme wird nicht lange mehr leben und wollte nur Troſtworte, und nicht ſo harte Worte von Ihnen hören. — Er iſt ganz er¬ ſchrocken, denn er hat Gretchen im erſten Eifer nicht geſehen, und führt nun eine andere Sprache und läßt auch einiges Geld dort. Nach zwei Tagen war das Mädchen todt. Die Tante ſchwieg. Klärchen war in höchſter Aufregung. Sprechen konnte ſie nicht; ſie reichte der Tante die Hand und ſtürzte zum Zimmer hinaus. Die Tante wollte ihr nachrufen, aber ſie hörte nicht, ſie lief mit eilenden Schritten über die Straße und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/93
Zitationshilfe: Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/93>, abgerufen am 18.05.2024.