verschloß sich dann in ihrem Zimmer. Hier brach sie in Thränen aus. Ein abscheulicher Mensch! solch ein Verhältniß vorher zu haben! Sie wollte augenblicklich mit ihm brechen, sie wollte einen Mann haben, der geachtet und geehrt ward von der ganzen Welt und der besonders weit über Tante Rieke und über Greten stand. -- So gingen ihre Gedanken anfänglich durch einander. -- Als sie aber eine halbe Stunde geweint, und ihre Thränen versiegten, ward sie ruhiger. Und wenn die ganze Geschichte wahr wäre, dachte sie, was hat er eigentlich verbrochen? Daß ich seine erste Liebe nicht bin, konnt' ich mir vorher denken. Er ist ja auch deine erste Liebe nicht, entgegnete ihr Gewissen, und du hast ihm auch von allen Abenteuern nichts gesagt. Das ist eben der Fluch der Sünde: um die eigene zu beschönigen, mußte sie auch die des Andern entschuldigen und so die Last beider tragen. Daß das Mädchen so dumm war, sich verführen zu lassen, fuhr sie fort, ist traurig, und es ist schändlich von ihm, die Arme so im Stich zu lassen; aber gewiß war sie ein ganz unbedeutendes Wesen, die ihn nicht fesseln konnte, dir hätte so etwas nie passiren können. Das einzige Unglück dabei ist nur, daß es nicht verborgen blieb, und daß gerade ihre Verwandten so tief hinein blicken mußten. Ihrem Glücke konnte die Sache nicht mehr hinderlich sein, Mutter und Kind sind todt. Wenn sie einst Herrin eines großen Hotels ist, es bequem wie eine Prinzessin hat, dazu von dem Manne geliebt und angebetet wird, was sie Alles nicht be¬ zweifelte, so fehlte ihrem Glücke nichts. Die Sache mit dem Aufgeben mußte doch überlegt werden, und
verſchloß ſich dann in ihrem Zimmer. Hier brach ſie in Thränen aus. Ein abſcheulicher Menſch! ſolch ein Verhältniß vorher zu haben! Sie wollte augenblicklich mit ihm brechen, ſie wollte einen Mann haben, der geachtet und geehrt ward von der ganzen Welt und der beſonders weit über Tante Rieke und über Greten ſtand. — So gingen ihre Gedanken anfänglich durch einander. — Als ſie aber eine halbe Stunde geweint, und ihre Thränen verſiegten, ward ſie ruhiger. Und wenn die ganze Geſchichte wahr wäre, dachte ſie, was hat er eigentlich verbrochen? Daß ich ſeine erſte Liebe nicht bin, konnt' ich mir vorher denken. Er iſt ja auch deine erſte Liebe nicht, entgegnete ihr Gewiſſen, und du haſt ihm auch von allen Abenteuern nichts geſagt. Das iſt eben der Fluch der Sünde: um die eigene zu beſchönigen, mußte ſie auch die des Andern entſchuldigen und ſo die Laſt beider tragen. Daß das Mädchen ſo dumm war, ſich verführen zu laſſen, fuhr ſie fort, iſt traurig, und es iſt ſchändlich von ihm, die Arme ſo im Stich zu laſſen; aber gewiß war ſie ein ganz unbedeutendes Weſen, die ihn nicht feſſeln konnte, dir hätte ſo etwas nie paſſiren können. Das einzige Unglück dabei iſt nur, daß es nicht verborgen blieb, und daß gerade ihre Verwandten ſo tief hinein blicken mußten. Ihrem Glücke konnte die Sache nicht mehr hinderlich ſein, Mutter und Kind ſind todt. Wenn ſie einſt Herrin eines großen Hotels iſt, es bequem wie eine Prinzeſſin hat, dazu von dem Manne geliebt und angebetet wird, was ſie Alles nicht be¬ zweifelte, ſo fehlte ihrem Glücke nichts. Die Sache mit dem Aufgeben mußte doch überlegt werden, und
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0094"n="88"/>
verſchloß ſich dann in ihrem Zimmer. Hier brach ſie<lb/>
in Thränen aus. Ein abſcheulicher Menſch! ſolch ein<lb/>
Verhältniß vorher zu haben! Sie wollte augenblicklich<lb/>
mit ihm brechen, ſie wollte einen Mann haben, der<lb/>
geachtet und geehrt ward von der ganzen Welt und<lb/>
der beſonders weit über Tante Rieke und über Greten<lb/>ſtand. — So gingen ihre Gedanken anfänglich durch<lb/>
einander. — Als ſie aber eine halbe Stunde geweint,<lb/>
und ihre Thränen verſiegten, ward ſie ruhiger. Und<lb/>
wenn die ganze Geſchichte wahr wäre, dachte ſie, was<lb/>
hat er eigentlich verbrochen? Daß ich ſeine erſte Liebe<lb/>
nicht bin, konnt' ich mir vorher denken. Er iſt ja<lb/>
auch deine erſte Liebe nicht, entgegnete ihr Gewiſſen,<lb/>
und du haſt ihm auch von allen Abenteuern nichts<lb/>
geſagt. Das iſt eben der Fluch der Sünde: um die<lb/>
eigene zu beſchönigen, mußte ſie auch die des Andern<lb/>
entſchuldigen und ſo die Laſt beider tragen. Daß das<lb/>
Mädchen ſo dumm war, ſich verführen zu laſſen, fuhr<lb/>ſie fort, iſt traurig, und es iſt ſchändlich von ihm,<lb/>
die Arme ſo im Stich zu laſſen; aber gewiß war ſie<lb/>
ein ganz unbedeutendes Weſen, die ihn nicht feſſeln<lb/>
konnte, dir hätte ſo etwas nie paſſiren können. Das<lb/>
einzige Unglück dabei iſt nur, daß es nicht verborgen<lb/>
blieb, und daß gerade ihre Verwandten ſo tief hinein<lb/>
blicken mußten. Ihrem Glücke konnte die Sache nicht<lb/>
mehr hinderlich ſein, Mutter und Kind ſind todt.<lb/>
Wenn ſie einſt Herrin eines großen Hotels iſt, es<lb/>
bequem wie eine Prinzeſſin hat, dazu von dem Manne<lb/>
geliebt und angebetet wird, was ſie Alles nicht be¬<lb/>
zweifelte, ſo fehlte ihrem Glücke nichts. Die Sache<lb/>
mit dem Aufgeben mußte doch überlegt werden, und<lb/></p></body></text></TEI>
[88/0094]
verſchloß ſich dann in ihrem Zimmer. Hier brach ſie
in Thränen aus. Ein abſcheulicher Menſch! ſolch ein
Verhältniß vorher zu haben! Sie wollte augenblicklich
mit ihm brechen, ſie wollte einen Mann haben, der
geachtet und geehrt ward von der ganzen Welt und
der beſonders weit über Tante Rieke und über Greten
ſtand. — So gingen ihre Gedanken anfänglich durch
einander. — Als ſie aber eine halbe Stunde geweint,
und ihre Thränen verſiegten, ward ſie ruhiger. Und
wenn die ganze Geſchichte wahr wäre, dachte ſie, was
hat er eigentlich verbrochen? Daß ich ſeine erſte Liebe
nicht bin, konnt' ich mir vorher denken. Er iſt ja
auch deine erſte Liebe nicht, entgegnete ihr Gewiſſen,
und du haſt ihm auch von allen Abenteuern nichts
geſagt. Das iſt eben der Fluch der Sünde: um die
eigene zu beſchönigen, mußte ſie auch die des Andern
entſchuldigen und ſo die Laſt beider tragen. Daß das
Mädchen ſo dumm war, ſich verführen zu laſſen, fuhr
ſie fort, iſt traurig, und es iſt ſchändlich von ihm,
die Arme ſo im Stich zu laſſen; aber gewiß war ſie
ein ganz unbedeutendes Weſen, die ihn nicht feſſeln
konnte, dir hätte ſo etwas nie paſſiren können. Das
einzige Unglück dabei iſt nur, daß es nicht verborgen
blieb, und daß gerade ihre Verwandten ſo tief hinein
blicken mußten. Ihrem Glücke konnte die Sache nicht
mehr hinderlich ſein, Mutter und Kind ſind todt.
Wenn ſie einſt Herrin eines großen Hotels iſt, es
bequem wie eine Prinzeſſin hat, dazu von dem Manne
geliebt und angebetet wird, was ſie Alles nicht be¬
zweifelte, ſo fehlte ihrem Glücke nichts. Die Sache
mit dem Aufgeben mußte doch überlegt werden, und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/94>, abgerufen am 15.08.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.