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Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.

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und Klärchen ging in den Holzstall, um noch einmal
Nachlese zu halten, obgleich sie gestern Abend schon
sehr genau eingesammelt hatte. Sie fand einige Split¬
terchen, kochte noch einmal Kaffee und für Gretchen
einen Brei. Die Stube ward kaum warm. Klärchen
fragte nichts nach der Kälte, aber Hülfe mußte nun
geschafft werden, das Kind durfte nicht frieren. Vor
allen Dingen zog sie selbst ihren einzigen wollenen
Unterrock aus, machte eine Kappe davon, hüllte das
Kind da warm hinein und trug es so im Deckentuch
in der kalten Stube. Um noch etwas unter dem dün¬
nen wollenen Mousselin-Kleide zu haben, hatte sie den
weißen Unterrock mit der Frisur angezogen, der aus
ihrer Mädchenzeit, jetzt aber dünn und verwaschen,
kaum noch zu Futter nutzbar, in einer Ecke lag. Sie
kämpfte lange, ob sie zu Tante Rieke gehen sollte,
oder vielmehr zu Buchsteins; denn schon seit acht Ta¬
gen war die Tante dort, weil Gretchen an einer bö¬
sen Grippe niederlag. Sie entschied sich zum Gehen,
die Noth war zu groß, ihre Stube ward immer kälter,
die Mutter jammerte nach Essen, und sie selbst und
ihr Kind waren hungrig. O wenn sie nur Kraft zum
Beten gehabt hätte! Aber sie war matt und schwach,
konnte sich nicht erheben und trug all dies Elend als
eine wohlverdiente Schuld.

Der Nordwind pfiff durch ihre dünnen Kleider,
an allen Gliedern bebend trat sie zu Buchsteins in das
Haus. Fritz nahm eben dem Lehrjungen einen Korb
mit Spähnen und Holzabfällen ab, die er in der
Werkstatt aufgeräumt. Klärchens Blicke sahen unwill¬
kürlich verlangend darauf. Fritz, der für Klärchens

und Klärchen ging in den Holzſtall, um noch einmal
Nachleſe zu halten, obgleich ſie geſtern Abend ſchon
ſehr genau eingeſammelt hatte. Sie fand einige Split¬
terchen, kochte noch einmal Kaffee und für Gretchen
einen Brei. Die Stube ward kaum warm. Klärchen
fragte nichts nach der Kälte, aber Hülfe mußte nun
geſchafft werden, das Kind durfte nicht frieren. Vor
allen Dingen zog ſie ſelbſt ihren einzigen wollenen
Unterrock aus, machte eine Kappe davon, hüllte das
Kind da warm hinein und trug es ſo im Deckentuch
in der kalten Stube. Um noch etwas unter dem dün¬
nen wollenen Mouſſelin-Kleide zu haben, hatte ſie den
weißen Unterrock mit der Friſur angezogen, der aus
ihrer Mädchenzeit, jetzt aber dünn und verwaſchen,
kaum noch zu Futter nutzbar, in einer Ecke lag. Sie
kämpfte lange, ob ſie zu Tante Rieke gehen ſollte,
oder vielmehr zu Buchſteins; denn ſchon ſeit acht Ta¬
gen war die Tante dort, weil Gretchen an einer bö¬
ſen Grippe niederlag. Sie entſchied ſich zum Gehen,
die Noth war zu groß, ihre Stube ward immer kälter,
die Mutter jammerte nach Eſſen, und ſie ſelbſt und
ihr Kind waren hungrig. O wenn ſie nur Kraft zum
Beten gehabt hätte! Aber ſie war matt und ſchwach,
konnte ſich nicht erheben und trug all dies Elend als
eine wohlverdiente Schuld.

Der Nordwind pfiff durch ihre dünnen Kleider,
an allen Gliedern bebend trat ſie zu Buchſteins in das
Haus. Fritz nahm eben dem Lehrjungen einen Korb
mit Spähnen und Holzabfällen ab, die er in der
Werkſtatt aufgeräumt. Klärchens Blicke ſahen unwill¬
kürlich verlangend darauf. Fritz, der für Klärchens

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[135/0141] und Klärchen ging in den Holzſtall, um noch einmal Nachleſe zu halten, obgleich ſie geſtern Abend ſchon ſehr genau eingeſammelt hatte. Sie fand einige Split¬ terchen, kochte noch einmal Kaffee und für Gretchen einen Brei. Die Stube ward kaum warm. Klärchen fragte nichts nach der Kälte, aber Hülfe mußte nun geſchafft werden, das Kind durfte nicht frieren. Vor allen Dingen zog ſie ſelbſt ihren einzigen wollenen Unterrock aus, machte eine Kappe davon, hüllte das Kind da warm hinein und trug es ſo im Deckentuch in der kalten Stube. Um noch etwas unter dem dün¬ nen wollenen Mouſſelin-Kleide zu haben, hatte ſie den weißen Unterrock mit der Friſur angezogen, der aus ihrer Mädchenzeit, jetzt aber dünn und verwaſchen, kaum noch zu Futter nutzbar, in einer Ecke lag. Sie kämpfte lange, ob ſie zu Tante Rieke gehen ſollte, oder vielmehr zu Buchſteins; denn ſchon ſeit acht Ta¬ gen war die Tante dort, weil Gretchen an einer bö¬ ſen Grippe niederlag. Sie entſchied ſich zum Gehen, die Noth war zu groß, ihre Stube ward immer kälter, die Mutter jammerte nach Eſſen, und ſie ſelbſt und ihr Kind waren hungrig. O wenn ſie nur Kraft zum Beten gehabt hätte! Aber ſie war matt und ſchwach, konnte ſich nicht erheben und trug all dies Elend als eine wohlverdiente Schuld. Der Nordwind pfiff durch ihre dünnen Kleider, an allen Gliedern bebend trat ſie zu Buchſteins in das Haus. Fritz nahm eben dem Lehrjungen einen Korb mit Spähnen und Holzabfällen ab, die er in der Werkſtatt aufgeräumt. Klärchens Blicke ſahen unwill¬ kürlich verlangend darauf. Fritz, der für Klärchens

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Zitationshilfe: Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/141>, abgerufen am 26.11.2024.