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Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.

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es war ein schwüler Tag gewesen. Klärchen hatte
ernsthafte Gedanken, sie war plötzlich so weit glückli¬
cher als früher, Günther wie umgewandelt, -- sollte
der liebe Gott wirklich ihre Gebete erhört haben? Ihr
Herz war dankbar gestimmt, und sie machte sich das
Gelübde, fromm und rechtschaffen zu werden, knüpfte
daran aber unwillkürlich die Bedingung des Glücklich¬
seins, und dies Glücklichsein suchte sie immer noch in
äußeren Dingen.

Verwundert sah sie mit einemmal Herrn Rein¬
hard mit noch zwei Männern aus dem Hotel und
eilig zu ihr hinüber kommen. Erstaunt ging sie ihnen
entgegen. Herr Reinhard fragte ernsthaft nach ihrem
Manne.

Ich meine, er ist drüben, sagte Klärchen unbe¬
fangen, und erwarte ihn jeden Augenblick. Es ist
heut mein Geburtstag, fügte sie, indem sie auf den
Festtisch zeigte, hinzu, und er wollte noch mit mir spa¬
zieren gehen.

Der Schurke! murmelte Reinhard, und Klärchen
fuhr erschrocken zusammen. Sie müssen erlauben, daß
wir den Sekretair öffnen, fuhr Reinhard fort, und
sogleich machte er sich mit Hauptschlüsseln an das
Werk.

Klärchen bat den Herrn Reinhard mit Thränen,
ihr zu sagen, was vorgefallen, und Herr Reinhard
erzählte nicht mit den feinsten Worten, wie Günther
ihn wenigstens um zehntausend Thaler betrogen, wie
er schändlicher Weise sein Vertrauen gemißbraucht, seine
Handschrift nachgemacht, sein Siegel benutzt, falsche
Wechsel ausgestellt, und jetzt wahrscheinlich nach Ame¬

es war ein ſchwüler Tag geweſen. Klärchen hatte
ernſthafte Gedanken, ſie war plötzlich ſo weit glückli¬
cher als früher, Günther wie umgewandelt, — ſollte
der liebe Gott wirklich ihre Gebete erhört haben? Ihr
Herz war dankbar geſtimmt, und ſie machte ſich das
Gelübde, fromm und rechtſchaffen zu werden, knüpfte
daran aber unwillkürlich die Bedingung des Glücklich¬
ſeins, und dies Glücklichſein ſuchte ſie immer noch in
äußeren Dingen.

Verwundert ſah ſie mit einemmal Herrn Rein¬
hard mit noch zwei Männern aus dem Hotel und
eilig zu ihr hinüber kommen. Erſtaunt ging ſie ihnen
entgegen. Herr Reinhard fragte ernſthaft nach ihrem
Manne.

Ich meine, er iſt drüben, ſagte Klärchen unbe¬
fangen, und erwarte ihn jeden Augenblick. Es iſt
heut mein Geburtstag, fügte ſie, indem ſie auf den
Feſttiſch zeigte, hinzu, und er wollte noch mit mir ſpa¬
zieren gehen.

Der Schurke! murmelte Reinhard, und Klärchen
fuhr erſchrocken zuſammen. Sie müſſen erlauben, daß
wir den Sekretair öffnen, fuhr Reinhard fort, und
ſogleich machte er ſich mit Hauptſchlüſſeln an das
Werk.

Klärchen bat den Herrn Reinhard mit Thränen,
ihr zu ſagen, was vorgefallen, und Herr Reinhard
erzählte nicht mit den feinſten Worten, wie Günther
ihn wenigſtens um zehntauſend Thaler betrogen, wie
er ſchändlicher Weiſe ſein Vertrauen gemißbraucht, ſeine
Handſchrift nachgemacht, ſein Siegel benutzt, falſche
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[121/0127] es war ein ſchwüler Tag geweſen. Klärchen hatte ernſthafte Gedanken, ſie war plötzlich ſo weit glückli¬ cher als früher, Günther wie umgewandelt, — ſollte der liebe Gott wirklich ihre Gebete erhört haben? Ihr Herz war dankbar geſtimmt, und ſie machte ſich das Gelübde, fromm und rechtſchaffen zu werden, knüpfte daran aber unwillkürlich die Bedingung des Glücklich¬ ſeins, und dies Glücklichſein ſuchte ſie immer noch in äußeren Dingen. Verwundert ſah ſie mit einemmal Herrn Rein¬ hard mit noch zwei Männern aus dem Hotel und eilig zu ihr hinüber kommen. Erſtaunt ging ſie ihnen entgegen. Herr Reinhard fragte ernſthaft nach ihrem Manne. Ich meine, er iſt drüben, ſagte Klärchen unbe¬ fangen, und erwarte ihn jeden Augenblick. Es iſt heut mein Geburtstag, fügte ſie, indem ſie auf den Feſttiſch zeigte, hinzu, und er wollte noch mit mir ſpa¬ zieren gehen. Der Schurke! murmelte Reinhard, und Klärchen fuhr erſchrocken zuſammen. Sie müſſen erlauben, daß wir den Sekretair öffnen, fuhr Reinhard fort, und ſogleich machte er ſich mit Hauptſchlüſſeln an das Werk. Klärchen bat den Herrn Reinhard mit Thränen, ihr zu ſagen, was vorgefallen, und Herr Reinhard erzählte nicht mit den feinſten Worten, wie Günther ihn wenigſtens um zehntauſend Thaler betrogen, wie er ſchändlicher Weiſe ſein Vertrauen gemißbraucht, ſeine Handſchrift nachgemacht, ſein Siegel benutzt, falſche Wechſel ausgeſtellt, und jetzt wahrſcheinlich nach Ame¬

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Zitationshilfe: Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/127>, abgerufen am 25.11.2024.