Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.seinem Munde, ja, in einer einsamen Stunde bat er Zu Klärchens Geburtstag war das kleine Gretchen ſeinem Munde, ja, in einer einſamen Stunde bat er Zu Klärchens Geburtstag war das kleine Gretchen <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0126" n="120"/> ſeinem Munde, ja, in einer einſamen Stunde bat er<lb/> ſie ſogar um Verzeihung wegen der Vergangenheit und<lb/> verſprach ihr eine goldene Zukunft. Er deutete dabei<lb/> an, daß ſie bald ihren Wohnſitz ändern würden, und<lb/> forſchte dann, wie alt wohl ihr Kindchen ſein müſſe,<lb/> um mit ihm eine weitere Reiſe zu unternehmen. Klär¬<lb/> chen hätte ſich jetzt ganz glücklich träumen können, aber<lb/> die gemachten Erfahrungen ließen ſich nicht aus ihrem<lb/> Gedächtniß verwiſchen; auch waren Günthers Augen<lb/> zuweilen ſo unſtet, ſeine Worte ſo geheimnißvoll, daß<lb/> ſie Angſt vor ſeiner Nähe hatte. Als das Kind fünf<lb/> Wochen alt war, ward es in der Stephani-Kirche<lb/> getauft, Günther hatte nichts dagegen, er hörte kaum<lb/> hin, als ihm Klärchen den Vorſchlag machte. Aber<lb/> daß Gretchen Gevatter ſtehen ſollte, ſchlug er rund<lb/> ab, er wollte mit den Leuten nichts zu thun haben.<lb/> Nur das ſetzte ſie durch, daß die Kleine Gretchens<lb/> Namen bekam.</p><lb/> <p>Zu Klärchens Geburtstag war das kleine Gretchen<lb/> ſechs Wochen alt, und lag ſüß ſchlummernd neben der<lb/> Mutter in der Wiege. Vor dem Sopha ſtand der<lb/> Geburtstagstiſch, den Günther am Morgen mit Ku¬<lb/> chen und Blumen geſchmückt. Außerdem hatte er ihr<lb/> 30 Thaler in Scheinen geſchenkt mit dem geheimni߬<lb/> vollen Bemerken: ſie ſorgſam zu bewahren; ſie würde<lb/> bald Gebrauch davon machen müſſen. Klärchen hatte<lb/> ſchon zu oft ſolche Bemerkungen gehört, und hatte das<lb/> Geld, ohne weiter darüber zu forſchen, in ihr Näh¬<lb/> käſtchen geſchloſſen. Jetzt war es bald Abend, ſie ſaß<lb/> am offnen Fenster, die Luft in der Stube war ihr zu<lb/> eng geworden, aber auch außen war es nicht beſſer,<lb/></p> </body> </text> </TEI> [120/0126]
ſeinem Munde, ja, in einer einſamen Stunde bat er
ſie ſogar um Verzeihung wegen der Vergangenheit und
verſprach ihr eine goldene Zukunft. Er deutete dabei
an, daß ſie bald ihren Wohnſitz ändern würden, und
forſchte dann, wie alt wohl ihr Kindchen ſein müſſe,
um mit ihm eine weitere Reiſe zu unternehmen. Klär¬
chen hätte ſich jetzt ganz glücklich träumen können, aber
die gemachten Erfahrungen ließen ſich nicht aus ihrem
Gedächtniß verwiſchen; auch waren Günthers Augen
zuweilen ſo unſtet, ſeine Worte ſo geheimnißvoll, daß
ſie Angſt vor ſeiner Nähe hatte. Als das Kind fünf
Wochen alt war, ward es in der Stephani-Kirche
getauft, Günther hatte nichts dagegen, er hörte kaum
hin, als ihm Klärchen den Vorſchlag machte. Aber
daß Gretchen Gevatter ſtehen ſollte, ſchlug er rund
ab, er wollte mit den Leuten nichts zu thun haben.
Nur das ſetzte ſie durch, daß die Kleine Gretchens
Namen bekam.
Zu Klärchens Geburtstag war das kleine Gretchen
ſechs Wochen alt, und lag ſüß ſchlummernd neben der
Mutter in der Wiege. Vor dem Sopha ſtand der
Geburtstagstiſch, den Günther am Morgen mit Ku¬
chen und Blumen geſchmückt. Außerdem hatte er ihr
30 Thaler in Scheinen geſchenkt mit dem geheimni߬
vollen Bemerken: ſie ſorgſam zu bewahren; ſie würde
bald Gebrauch davon machen müſſen. Klärchen hatte
ſchon zu oft ſolche Bemerkungen gehört, und hatte das
Geld, ohne weiter darüber zu forſchen, in ihr Näh¬
käſtchen geſchloſſen. Jetzt war es bald Abend, ſie ſaß
am offnen Fenster, die Luft in der Stube war ihr zu
eng geworden, aber auch außen war es nicht beſſer,
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