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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

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meisterlichen doch nicht zu Danke gemacht
hat, sprach mit großer Gravität: Der La-
vaterische Coder, den ich seiner innern Ord-
nung und Einrichtung halber den physiogno-
mischen Koran nenne, besagt in der neun-
ten Sure des IV Tomus ausdrücklich, daß
kein Maler ins physiognomische Heiligthum
eingehe: die wenigsten Maler heißts am
angezognen Orte sind Physiognomisten, die
Wenigsten sag ich, weil ich nicht sagen darf:
kein Einziger ists; aber doch sagen darf:
ich kenne Keinen ders durchaus ist. Jn-
zwischen suspen dir ich für den gegenwärti-
gen Fall mein Jndicium gänzlich, und
überlasse es dem Ermessen meiner Herrn
Kollegen, was sie nach ihrer Gewissenhaf-
tigkeit in diesem passu entscheiden werden.
Der Künstler vertheidigte sich aber sehr gut,
sprach: es gehe den meisten Malern wie
den meisten Menschen, die Wenigsten wä-
ren Physiognomen, weil er sich aus Beschei-

denheit,

meiſterlichen doch nicht zu Danke gemacht
hat, ſprach mit großer Gravitaͤt: Der La-
vateriſche Coder, den ich ſeiner innern Ord-
nung und Einrichtung halber den phyſiogno-
miſchen Koran nenne, beſagt in der neun-
ten Sure des IV Tomus ausdruͤcklich, daß
kein Maler ins phyſiognomiſche Heiligthum
eingehe: die wenigſten Maler heißts am
angezognen Orte ſind Phyſiognomiſten, die
Wenigſten ſag ich, weil ich nicht ſagen darf:
kein Einziger iſts; aber doch ſagen darf:
ich kenne Keinen ders durchaus iſt. Jn-
zwiſchen ſuſpen dir ich fuͤr den gegenwaͤrti-
gen Fall mein Jndicium gaͤnzlich, und
uͤberlaſſe es dem Ermeſſen meiner Herrn
Kollegen, was ſie nach ihrer Gewiſſenhaf-
tigkeit in dieſem paſſu entſcheiden werden.
Der Kuͤnſtler vertheidigte ſich aber ſehr gut,
ſprach: es gehe den meiſten Malern wie
den meiſten Menſchen, die Wenigſten waͤ-
ren Phyſiognomen, weil er ſich aus Beſchei-

denheit,
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[29/0037] meiſterlichen doch nicht zu Danke gemacht hat, ſprach mit großer Gravitaͤt: Der La- vateriſche Coder, den ich ſeiner innern Ord- nung und Einrichtung halber den phyſiogno- miſchen Koran nenne, beſagt in der neun- ten Sure des IV Tomus ausdruͤcklich, daß kein Maler ins phyſiognomiſche Heiligthum eingehe: die wenigſten Maler heißts am angezognen Orte ſind Phyſiognomiſten, die Wenigſten ſag ich, weil ich nicht ſagen darf: kein Einziger iſts; aber doch ſagen darf: ich kenne Keinen ders durchaus iſt. Jn- zwiſchen ſuſpen dir ich fuͤr den gegenwaͤrti- gen Fall mein Jndicium gaͤnzlich, und uͤberlaſſe es dem Ermeſſen meiner Herrn Kollegen, was ſie nach ihrer Gewiſſenhaf- tigkeit in dieſem paſſu entſcheiden werden. Der Kuͤnſtler vertheidigte ſich aber ſehr gut, ſprach: es gehe den meiſten Malern wie den meiſten Menſchen, die Wenigſten waͤ- ren Phyſiognomen, weil er ſich aus Beſchei- denheit,

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/37>, abgerufen am 28.03.2024.