stöhrten ersten Liebe vermuthen lassen, un- geachtet sie volle dreyßig Jahr alt war, da ich sie ehelichte, und folglich Muße gnug zu einer frühern Liebe gehabt hätte, wozu es ihr nicht an Reiz, und vermuthlich auch nicht an Temperament gebrach. Dem un- geachtet hab ich ihr nie eine Spur von ge- heimen Gram, der sie mit einer Abzehrung bedrohet hätte, abmerken können: sie wog 113 Pfund als sie in mein Haus kam, und an ihrem leztern Geburtstage wog sie 187 mit einem Ausschlag. Das Recht, das meine beyden Schwiegerväter in Absicht ih- rer Töchter hatten, dacht ich, stünde mir bey der meinigen auch zu. Weder ihre leib- liche Mutter noch ihre Stiefmutter begehr- ten ein Votum bey ihrem Heurathsgewerbe, und aus diesem Grunde hab ich mit dem Vetter Auton, ohne Vorwissen meiner Lot- te die obgedachte Eheberedung abgeschlossen. Wenn der tertius interveniens mir nicht
das
ſtoͤhrten erſten Liebe vermuthen laſſen, un- geachtet ſie volle dreyßig Jahr alt war, da ich ſie ehelichte, und folglich Muße gnug zu einer fruͤhern Liebe gehabt haͤtte, wozu es ihr nicht an Reiz, und vermuthlich auch nicht an Temperament gebrach. Dem un- geachtet hab ich ihr nie eine Spur von ge- heimen Gram, der ſie mit einer Abzehrung bedrohet haͤtte, abmerken koͤnnen: ſie wog 113 Pfund als ſie in mein Haus kam, und an ihrem leztern Geburtstage wog ſie 187 mit einem Ausſchlag. Das Recht, das meine beyden Schwiegervaͤter in Abſicht ih- rer Toͤchter hatten, dacht ich, ſtuͤnde mir bey der meinigen auch zu. Weder ihre leib- liche Mutter noch ihre Stiefmutter begehr- ten ein Votum bey ihrem Heurathsgewerbe, und aus dieſem Grunde hab ich mit dem Vetter Auton, ohne Vorwiſſen meiner Lot- te die obgedachte Eheberedung abgeſchloſſen. Wenn der tertius interveniens mir nicht
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ſtoͤhrten erſten Liebe vermuthen laſſen, un-
geachtet ſie volle dreyßig Jahr alt war, da
ich ſie ehelichte, und folglich Muße gnug
zu einer fruͤhern Liebe gehabt haͤtte, wozu
es ihr nicht an Reiz, und vermuthlich auch
nicht an Temperament gebrach. Dem un-
geachtet hab ich ihr nie eine Spur von ge-
heimen Gram, der ſie mit einer Abzehrung
bedrohet haͤtte, abmerken koͤnnen: ſie wog
113 Pfund als ſie in mein Haus kam, und
an ihrem leztern Geburtstage wog ſie 187
mit einem Ausſchlag. Das Recht, das
meine beyden Schwiegervaͤter in Abſicht ih-
rer Toͤchter hatten, dacht ich, ſtuͤnde mir
bey der meinigen auch zu. Weder ihre leib-
liche Mutter noch ihre Stiefmutter begehr-
ten ein Votum bey ihrem Heurathsgewerbe,
und aus dieſem Grunde hab ich mit dem
Vetter Auton, ohne Vorwiſſen meiner Lot-
te die obgedachte Eheberedung abgeſchloſſen.
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/178>, abgerufen am 22.11.2024.
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