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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779.

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meines Auges, genau mit einander überein-
kommen möchten. Die pfeilgeschwinde As-
sociation aber, welche die kleinsten Aehnlich-
keiten ergreift, und iedes Ding nach dem
Verlangen des Herzens gestaltet; und die
Wärme, mit welcher Sie annoch von Jh-
rer Alkmene sprechen, läßt mich vermu-
then, daß Sie derselben nicht nur condonirt
haben; sondern die alte Liebe noch gar nicht
erloschen sey, wenns das Herz dem Kopf
gleich nicht eingestehen will. Die Liebe hat
die Gesichtszüge Jhrer Frau so fest in Jhre
Jmagination hinein gewurzelt, daß Sie ie-
dem weiblichen Gesicht, das Sie in der
Dämmerung eines Schattenrisses erblicken,
die Gestalt derselben geben, wie Raphaels
Pinsel die Züge seiner Mätresse allen Ma-
donnen lieh die er mahlte. Meines Da-
vorhaltens ist die Liebe einem Miasma zu
vergleichen, das lange Zeit im Körper ein-
gewickelt herum schleichen kan, ohne daß

der
E 2

meines Auges, genau mit einander uͤberein-
kommen moͤchten. Die pfeilgeſchwinde Aſ-
ſociation aber, welche die kleinſten Aehnlich-
keiten ergreift, und iedes Ding nach dem
Verlangen des Herzens geſtaltet; und die
Waͤrme, mit welcher Sie annoch von Jh-
rer Alkmene ſprechen, laͤßt mich vermu-
then, daß Sie derſelben nicht nur condonirt
haben; ſondern die alte Liebe noch gar nicht
erloſchen ſey, wenns das Herz dem Kopf
gleich nicht eingeſtehen will. Die Liebe hat
die Geſichtszuͤge Jhrer Frau ſo feſt in Jhre
Jmagination hinein gewurzelt, daß Sie ie-
dem weiblichen Geſicht, das Sie in der
Daͤmmerung eines Schattenriſſes erblicken,
die Geſtalt derſelben geben, wie Raphaels
Pinſel die Zuͤge ſeiner Maͤtreſſe allen Ma-
donnen lieh die er mahlte. Meines Da-
vorhaltens iſt die Liebe einem Miaſma zu
vergleichen, das lange Zeit im Koͤrper ein-
gewickelt herum ſchleichen kan, ohne daß

der
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[67/0067] meines Auges, genau mit einander uͤberein- kommen moͤchten. Die pfeilgeſchwinde Aſ- ſociation aber, welche die kleinſten Aehnlich- keiten ergreift, und iedes Ding nach dem Verlangen des Herzens geſtaltet; und die Waͤrme, mit welcher Sie annoch von Jh- rer Alkmene ſprechen, laͤßt mich vermu- then, daß Sie derſelben nicht nur condonirt haben; ſondern die alte Liebe noch gar nicht erloſchen ſey, wenns das Herz dem Kopf gleich nicht eingeſtehen will. Die Liebe hat die Geſichtszuͤge Jhrer Frau ſo feſt in Jhre Jmagination hinein gewurzelt, daß Sie ie- dem weiblichen Geſicht, das Sie in der Daͤmmerung eines Schattenriſſes erblicken, die Geſtalt derſelben geben, wie Raphaels Pinſel die Zuͤge ſeiner Maͤtreſſe allen Ma- donnen lieh die er mahlte. Meines Da- vorhaltens iſt die Liebe einem Miaſma zu vergleichen, das lange Zeit im Koͤrper ein- gewickelt herum ſchleichen kan, ohne daß der E 2

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/67>, abgerufen am 19.05.2024.