Konnts demnach nicht länger Umgang haben meinem Busenfreunde mein Herz auszuschütten, und ihm meine Zweifel, Kleinmüthigkeit und Ungeduld, über das Unbefriedigende in der physiognomischen Menschenkunde, das sich nun nach geschlos- senen Kanon daraus veroffenbare, der Län- ge nach zu detailliren. Er hörte mich als ein Richter an, der den Bescheid schon im Kopf hat, eh die Partheyen ausgeredt ha- ben, und gab mir, nachdem ich mich satt- sam entnothdürftet hatte, folgendes darauf zu vernehmen.
Es sey nicht zu verwundern, sprach er, daß ich bey allem Eifer und der großen Anhänglichkeit an die große Kunst, dennoch mit allerley Zweifeln zu kämpfen hätte. Denn da ich, so viel er aus meinem Diskurs verstehe, alles nach Lavaters Regeln abzir- keln wolle, so könn's nicht fehlen, daß mir begegne, was dem großen Haufen, der dem
Meister
Konnts demnach nicht laͤnger Umgang haben meinem Buſenfreunde mein Herz auszuſchuͤtten, und ihm meine Zweifel, Kleinmuͤthigkeit und Ungeduld, uͤber das Unbefriedigende in der phyſiognomiſchen Menſchenkunde, das ſich nun nach geſchloſ- ſenen Kanon daraus veroffenbare, der Laͤn- ge nach zu detailliren. Er hoͤrte mich als ein Richter an, der den Beſcheid ſchon im Kopf hat, eh die Partheyen ausgeredt ha- ben, und gab mir, nachdem ich mich ſatt- ſam entnothduͤrftet hatte, folgendes darauf zu vernehmen.
Es ſey nicht zu verwundern, ſprach er, daß ich bey allem Eifer und der großen Anhaͤnglichkeit an die große Kunſt, dennoch mit allerley Zweifeln zu kaͤmpfen haͤtte. Denn da ich, ſo viel er aus meinem Diſkurs verſtehe, alles nach Lavaters Regeln abzir- keln wolle, ſo koͤnn’s nicht fehlen, daß mir begegne, was dem großen Haufen, der dem
Meiſter
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Konnts demnach nicht laͤnger Umgang
haben meinem Buſenfreunde mein Herz
auszuſchuͤtten, und ihm meine Zweifel,
Kleinmuͤthigkeit und Ungeduld, uͤber das
Unbefriedigende in der phyſiognomiſchen
Menſchenkunde, das ſich nun nach geſchloſ-
ſenen Kanon daraus veroffenbare, der Laͤn-
ge nach zu detailliren. Er hoͤrte mich als
ein Richter an, der den Beſcheid ſchon im
Kopf hat, eh die Partheyen ausgeredt ha-
ben, und gab mir, nachdem ich mich ſatt-
ſam entnothduͤrftet hatte, folgendes darauf
zu vernehmen.
Es ſey nicht zu verwundern, ſprach er,
daß ich bey allem Eifer und der großen
Anhaͤnglichkeit an die große Kunſt, dennoch
mit allerley Zweifeln zu kaͤmpfen haͤtte.
Denn da ich, ſo viel er aus meinem Diſkurs
verſtehe, alles nach Lavaters Regeln abzir-
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/205>, abgerufen am 23.07.2024.
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