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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779.

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der Eitelkeiten! Alles ist eitel und ging
davon.

Während dieser Meditation hört' ich
Freund Spörtlern in seinem physiognomi-
schen Kabinet weidlich hämmern; er hatte
wieder eine herrliche Acquisition von einigen
Diebsphysiognomien gemacht, auch unter
andern ein elendes Kupfer von dem ehemals
berüchtigten thüringischen Menschenfresser
aufgetrieben, das er mit großer Zufrieden-
heit, indem er die Melodie eines Sterbe-
liedes dazu pfiff, an die Wand anzweckte.
Wohl ihm! sprach ich zu mir, daß er nicht
wie ich, von iedem antiphysiognomischen
Winde, gleich einem schwankenden Rohr,
hin und her gebeugt wird! Es ist doch um
den Glauben der Einfältigen ein herrlich
Ding; ihm vermag kein Zweifel oder Ein-
wurf das geringste von seiner Ueberzeugung
abzudringen. Weil er sich um alle Physio-
gnomien, die nicht Galgen- und Rädfähig

sind,

der Eitelkeiten! Alles iſt eitel und ging
davon.

Waͤhrend dieſer Meditation hoͤrt’ ich
Freund Spoͤrtlern in ſeinem phyſiognomi-
ſchen Kabinet weidlich haͤmmern; er hatte
wieder eine herrliche Acquiſition von einigen
Diebsphyſiognomien gemacht, auch unter
andern ein elendes Kupfer von dem ehemals
beruͤchtigten thuͤringiſchen Menſchenfreſſer
aufgetrieben, das er mit großer Zufrieden-
heit, indem er die Melodie eines Sterbe-
liedes dazu pfiff, an die Wand anzweckte.
Wohl ihm! ſprach ich zu mir, daß er nicht
wie ich, von iedem antiphyſiognomiſchen
Winde, gleich einem ſchwankenden Rohr,
hin und her gebeugt wird! Es iſt doch um
den Glauben der Einfaͤltigen ein herrlich
Ding; ihm vermag kein Zweifel oder Ein-
wurf das geringſte von ſeiner Ueberzeugung
abzudringen. Weil er ſich um alle Phyſio-
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[203/0203] der Eitelkeiten! Alles iſt eitel und ging davon. Waͤhrend dieſer Meditation hoͤrt’ ich Freund Spoͤrtlern in ſeinem phyſiognomi- ſchen Kabinet weidlich haͤmmern; er hatte wieder eine herrliche Acquiſition von einigen Diebsphyſiognomien gemacht, auch unter andern ein elendes Kupfer von dem ehemals beruͤchtigten thuͤringiſchen Menſchenfreſſer aufgetrieben, das er mit großer Zufrieden- heit, indem er die Melodie eines Sterbe- liedes dazu pfiff, an die Wand anzweckte. Wohl ihm! ſprach ich zu mir, daß er nicht wie ich, von iedem antiphyſiognomiſchen Winde, gleich einem ſchwankenden Rohr, hin und her gebeugt wird! Es iſt doch um den Glauben der Einfaͤltigen ein herrlich Ding; ihm vermag kein Zweifel oder Ein- wurf das geringſte von ſeiner Ueberzeugung abzudringen. Weil er ſich um alle Phyſio- gnomien, die nicht Galgen- und Raͤdfaͤhig ſind,

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/203>, abgerufen am 02.05.2024.