Nach dieser vollendeten Operation erin- nert' mich mein Gedächtniß an zweyerley. Erstlich an die Fragmente, wo die Abwe- senheit der erzählten Charaktere zu einem Vermuthungsgrunde des Daseyns eines Dichters gemacht wird. Denn was mir auch mein logikalischer Gnomon von den puris negativis dagegen einwand', fand ich doch keinen Beruf, jezt sein Schulge- schwätz zu hören. Hernach fiel mir ein, daß es schon einen Beobachter, der die Physiognomie eines Dichters belauschen wollt', eben so ergangen sey, wie mir mit dem quästionirten Unbekannten. Hat der- selb', nach seiner eignen Aussag', Lavaters ganze Physiognomik vergeblich durchblät- tert, um Wort' und Ausdrück' zusammen zu stoppeln, sein vorhabendes Dichteran- tlitz zu beschreiben. Warum das nicht ge- lungen sey und auch nicht hab gelingen kön- nen, davon vermeyn ich im Stand zu seyn,
guten
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Nach dieſer vollendeten Operation erin- nert’ mich mein Gedaͤchtniß an zweyerley. Erſtlich an die Fragmente, wo die Abwe- ſenheit der erzaͤhlten Charaktere zu einem Vermuthungsgrunde des Daſeyns eines Dichters gemacht wird. Denn was mir auch mein logikaliſcher Gnomon von den puris negativis dagegen einwand’, fand ich doch keinen Beruf, jezt ſein Schulge- ſchwaͤtz zu hoͤren. Hernach fiel mir ein, daß es ſchon einen Beobachter, der die Phyſiognomie eines Dichters belauſchen wollt’, eben ſo ergangen ſey, wie mir mit dem quaͤſtionirten Unbekannten. Hat der- ſelb’, nach ſeiner eignen Ausſag’, Lavaters ganze Phyſiognomik vergeblich durchblaͤt- tert, um Wort’ und Ausdruͤck’ zuſammen zu ſtoppeln, ſein vorhabendes Dichteran- tlitz zu beſchreiben. Warum das nicht ge- lungen ſey und auch nicht hab gelingen koͤn- nen, davon vermeyn ich im Stand zu ſeyn,
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Nach dieſer vollendeten Operation erin-
nert’ mich mein Gedaͤchtniß an zweyerley.
Erſtlich an die Fragmente, wo die Abwe-
ſenheit der erzaͤhlten Charaktere zu einem
Vermuthungsgrunde des Daſeyns eines
Dichters gemacht wird. Denn was mir
auch mein logikaliſcher Gnomon von den
puris negativis dagegen einwand’, fand
ich doch keinen Beruf, jezt ſein Schulge-
ſchwaͤtz zu hoͤren. Hernach fiel mir ein,
daß es ſchon einen Beobachter, der die
Phyſiognomie eines Dichters belauſchen
wollt’, eben ſo ergangen ſey, wie mir mit
dem quaͤſtionirten Unbekannten. Hat der-
ſelb’, nach ſeiner eignen Ausſag’, Lavaters
ganze Phyſiognomik vergeblich durchblaͤt-
tert, um Wort’ und Ausdruͤck’ zuſammen
zu ſtoppeln, ſein vorhabendes Dichteran-
tlitz zu beſchreiben. Warum das nicht ge-
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/53>, abgerufen am 16.02.2025.
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