stalt so meisterlich verbarg? Wie konnt' ei- ne so gleißnerische, falsche, krumme, höcke- rige Seel, in diesem edlen, freyien, nach dem richtigsten Ebenmaaß gebarten Körper wohnen? Wie war's möglich, daß diese Giftspinn' ein so herrlich Gewebe von Fa- sern und Muskeln ausspinnen konnt'? Und wie war's möglich, daß sie nicht mit einem ihrer acht mißgestalteten Füß, an irgend einem dieser Fäden ruckt' und zückt', daß man ihr Daseyn im Mittelpunkt, durch ei- nen einzigen verzerrten Zug hätt von aussen her vermerken mögen? Kauns nicht fassen, wie ein so heterogenes Ganzes, in die Harmonie der Schöpfung eingewebt seyn konnt. -- Undankbare! hast den schönsten Plan meines Lebens vernichtet, verachtest stolz die Aeusserungen meiner redlichen Ge- sinnung, als sich in iener seligen Stunde, mein Herz dir öfnete unter meinem Lieb- lingsbaum' im Felde. O wie schwoll dein falscher Busen von erdichteter Zärtlichkeit; wie ahmten deine Krokodillsthränen, die ich für eitel Perlen achtete, innre Herzrüh- rung so künstlich nach, als du mich bereit fandest, dir meinen Stammbaum aufzu- opfern, mein Vaterland zu verlassen, wie
Herr
ſtalt ſo meiſterlich verbarg? Wie konnt’ ei- ne ſo gleißneriſche, falſche, krumme, hoͤcke- rige Seel, in dieſem edlen, freyien, nach dem richtigſten Ebenmaaß gebarten Koͤrper wohnen? Wie war’s moͤglich, daß dieſe Giftſpinn’ ein ſo herrlich Gewebe von Fa- ſern und Muſkeln ausſpinnen konnt’? Und wie war’s moͤglich, daß ſie nicht mit einem ihrer acht mißgeſtalteten Fuͤß, an irgend einem dieſer Faͤden ruckt’ und zuͤckt’, daß man ihr Daſeyn im Mittelpunkt, durch ei- nen einzigen verzerrten Zug haͤtt von auſſen her vermerken moͤgen? Kauns nicht faſſen, wie ein ſo heterogenes Ganzes, in die Harmonie der Schoͤpfung eingewebt ſeyn konnt. — Undankbare! haſt den ſchoͤnſten Plan meines Lebens vernichtet, verachteſt ſtolz die Aeuſſerungen meiner redlichen Ge- ſinnung, als ſich in iener ſeligen Stunde, mein Herz dir oͤfnete unter meinem Lieb- lingsbaum’ im Felde. O wie ſchwoll dein falſcher Buſen von erdichteter Zaͤrtlichkeit; wie ahmten deine Krokodillsthraͤnen, die ich fuͤr eitel Perlen achtete, innre Herzruͤh- rung ſo kuͤnſtlich nach, als du mich bereit fandeſt, dir meinen Stammbaum aufzu- opfern, mein Vaterland zu verlaſſen, wie
Herr
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ſtalt ſo meiſterlich verbarg? Wie konnt’ ei-
ne ſo gleißneriſche, falſche, krumme, hoͤcke-
rige Seel, in dieſem edlen, freyien, nach
dem richtigſten Ebenmaaß gebarten Koͤrper
wohnen? Wie war’s moͤglich, daß dieſe
Giftſpinn’ ein ſo herrlich Gewebe von Fa-
ſern und Muſkeln ausſpinnen konnt’? Und
wie war’s moͤglich, daß ſie nicht mit einem
ihrer acht mißgeſtalteten Fuͤß, an irgend
einem dieſer Faͤden ruckt’ und zuͤckt’, daß
man ihr Daſeyn im Mittelpunkt, durch ei-
nen einzigen verzerrten Zug haͤtt von auſſen
her vermerken moͤgen? Kauns nicht faſſen,
wie ein ſo heterogenes Ganzes, in die
Harmonie der Schoͤpfung eingewebt ſeyn
konnt. — Undankbare! haſt den ſchoͤnſten
Plan meines Lebens vernichtet, verachteſt
ſtolz die Aeuſſerungen meiner redlichen Ge-
ſinnung, als ſich in iener ſeligen Stunde,
mein Herz dir oͤfnete unter meinem Lieb-
lingsbaum’ im Felde. O wie ſchwoll dein
falſcher Buſen von erdichteter Zaͤrtlichkeit;
wie ahmten deine Krokodillsthraͤnen, die
ich fuͤr eitel Perlen achtete, innre Herzruͤh-
rung ſo kuͤnſtlich nach, als du mich bereit
fandeſt, dir meinen Stammbaum aufzu-
opfern, mein Vaterland zu verlaſſen, wie
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/198>, abgerufen am 16.02.2025.
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