Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Zeichnungen, worunter die algeschattete
sprechender ist als die cräjonirte, mit aller
Aufrichtigkeit als das Original.

Begierig habe ich bisher der begehrten
physiognomischen Notiz, was durch Jhre
Beobachtungen in Ansehung Jhres vedäch-
tigen Gerichtsunterthanen sich zu Tage ge-
legt hat, entgegen gesehen; aber noch im-
mer vergebens. Eben so wenig ist von Jh-
rem Gerichtsbeamten etwas Legales ein-
gegangen, zum Beweis, daß die heilsa-
me Justiz an allen Orten mit trägem
Schildkrötenschritt ihrem gewöhnlichen Weg
geht. -- -- So weit der Brief.

Jn der ersten Aufwallung dacht ich:
sollst den Pfuscher einseiffen, und ihn mit
dem weissen Barte sitzen lassen; oder wenn
er sich beygehen ließ, etwan gar sein Ge-
spött mit mir zu treiben, sollt's ihm noch
weniger ungenossen hingehen. Aber wenn
ich gleichwohl in den Zeichnungen sein Ge-
sicht beschaut', fand ich darinn nichts von
Schiefheit, Schalkheit, Trutz und Hohn-
sprache, nicht einen Zug, den es mit Claus
Narrens Gesicht gemein gehabt hätt. Viel-
mehr dünkt mich, ich säh einen ehrlichen
Mann vor mir, einen treuen, geraden,

dürren

Zeichnungen, worunter die algeſchattete
ſprechender iſt als die craͤjonirte, mit aller
Aufrichtigkeit als das Original.

Begierig habe ich bisher der begehrten
phyſiognomiſchen Notiz, was durch Jhre
Beobachtungen in Anſehung Jhres vedaͤch-
tigen Gerichtsunterthanen ſich zu Tage ge-
legt hat, entgegen geſehen; aber noch im-
mer vergebens. Eben ſo wenig iſt von Jh-
rem Gerichtsbeamten etwas Legales ein-
gegangen, zum Beweis, daß die heilſa-
me Juſtiz an allen Orten mit traͤgem
Schildkroͤtenſchritt ihrem gewoͤhnlichen Weg
geht. — — So weit der Brief.

Jn der erſten Aufwallung dacht ich:
ſollſt den Pfuſcher einſeiffen, und ihn mit
dem weiſſen Barte ſitzen laſſen; oder wenn
er ſich beygehen ließ, etwan gar ſein Ge-
ſpoͤtt mit mir zu treiben, ſollt’s ihm noch
weniger ungenoſſen hingehen. Aber wenn
ich gleichwohl in den Zeichnungen ſein Ge-
ſicht beſchaut’, fand ich darinn nichts von
Schiefheit, Schalkheit, Trutz und Hohn-
ſprache, nicht einen Zug, den es mit Claus
Narrens Geſicht gemein gehabt haͤtt. Viel-
mehr duͤnkt mich, ich ſaͤh einen ehrlichen
Mann vor mir, einen treuen, geraden,

duͤrren
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0146" n="140"/>
Zeichnungen, worunter die alge&#x017F;chattete<lb/>
&#x017F;prechender i&#x017F;t als die cra&#x0364;jonirte, mit aller<lb/>
Aufrichtigkeit als das Original.</p><lb/>
          <p>Begierig habe ich bisher der begehrten<lb/>
phy&#x017F;iognomi&#x017F;chen Notiz, was durch Jhre<lb/>
Beobachtungen in An&#x017F;ehung Jhres veda&#x0364;ch-<lb/>
tigen Gerichtsunterthanen &#x017F;ich zu Tage ge-<lb/>
legt hat, entgegen ge&#x017F;ehen; aber noch im-<lb/>
mer vergebens. Eben &#x017F;o wenig i&#x017F;t von Jh-<lb/>
rem Gerichtsbeamten etwas Legales ein-<lb/>
gegangen, zum Beweis, daß die heil&#x017F;a-<lb/>
me Ju&#x017F;tiz an allen Orten mit tra&#x0364;gem<lb/>
Schildkro&#x0364;ten&#x017F;chritt ihrem gewo&#x0364;hnlichen Weg<lb/>
geht. &#x2014; &#x2014; So weit der Brief.</p><lb/>
          <p>Jn der er&#x017F;ten Aufwallung dacht ich:<lb/>
&#x017F;oll&#x017F;t den Pfu&#x017F;cher ein&#x017F;eiffen, und ihn mit<lb/>
dem wei&#x017F;&#x017F;en Barte &#x017F;itzen la&#x017F;&#x017F;en; oder wenn<lb/>
er &#x017F;ich beygehen ließ, etwan gar &#x017F;ein Ge-<lb/>
&#x017F;po&#x0364;tt mit mir zu treiben, &#x017F;ollt&#x2019;s ihm noch<lb/>
weniger ungeno&#x017F;&#x017F;en hingehen. Aber wenn<lb/>
ich gleichwohl in den Zeichnungen &#x017F;ein Ge-<lb/>
&#x017F;icht be&#x017F;chaut&#x2019;, fand ich darinn nichts von<lb/>
Schiefheit, Schalkheit, Trutz und Hohn-<lb/>
&#x017F;prache, nicht einen Zug, den es mit Claus<lb/>
Narrens Ge&#x017F;icht gemein gehabt ha&#x0364;tt. Viel-<lb/>
mehr du&#x0364;nkt mich, ich &#x017F;a&#x0364;h einen ehrlichen<lb/>
Mann vor mir, einen treuen, geraden,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">du&#x0364;rren</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[140/0146] Zeichnungen, worunter die algeſchattete ſprechender iſt als die craͤjonirte, mit aller Aufrichtigkeit als das Original. Begierig habe ich bisher der begehrten phyſiognomiſchen Notiz, was durch Jhre Beobachtungen in Anſehung Jhres vedaͤch- tigen Gerichtsunterthanen ſich zu Tage ge- legt hat, entgegen geſehen; aber noch im- mer vergebens. Eben ſo wenig iſt von Jh- rem Gerichtsbeamten etwas Legales ein- gegangen, zum Beweis, daß die heilſa- me Juſtiz an allen Orten mit traͤgem Schildkroͤtenſchritt ihrem gewoͤhnlichen Weg geht. — — So weit der Brief. Jn der erſten Aufwallung dacht ich: ſollſt den Pfuſcher einſeiffen, und ihn mit dem weiſſen Barte ſitzen laſſen; oder wenn er ſich beygehen ließ, etwan gar ſein Ge- ſpoͤtt mit mir zu treiben, ſollt’s ihm noch weniger ungenoſſen hingehen. Aber wenn ich gleichwohl in den Zeichnungen ſein Ge- ſicht beſchaut’, fand ich darinn nichts von Schiefheit, Schalkheit, Trutz und Hohn- ſprache, nicht einen Zug, den es mit Claus Narrens Geſicht gemein gehabt haͤtt. Viel- mehr duͤnkt mich, ich ſaͤh einen ehrlichen Mann vor mir, einen treuen, geraden, duͤrren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/146
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/146>, abgerufen am 28.04.2024.