sen, all' mein' Schritt' und Tritt' mit der Sophie also, als wär sie eine Delila, der's um meine Haarlocken zu thun wär.
Dieser Jrrthum haftet so vest in der Leut' Köpfen, daß die Stimme der lau- tern Wahrheit nichts dagegen vermag. Die Sophie hat ihre Geschicht' hundertmal wiederholt, iederzeit mit der Freymüthig- keit, mit dem offnen zuverläßigen Gesicht, das in iedem Zug das Bewußtseyn des guten Gewissens ausdrückt. O Sophie, Sophie! wenn dein Gesicht trügen sollt, so stünd's wahrlich schlecht um Physiogno- mik! Als ich neulich dem physiognomischen Club eine Collation gab, produzirt' ich das Schattenprofil der Sophie nebst mei- ner Auslegung, und wie diese als unwi- dersprechlich richtig agnoscirt wurde, auch das Original. Waren die Herren ganz verbläfft bey diesem lieblichen Anblick, und lasen noch so viel herrliches aus der Sophie ihrem Gesicht, und guckten ihr dabey so tief in die Angen, daß ich der Bescheidenheit des lieben Kindes zu scho- nen, sie gar behend gute Nacht nehmen ließ.
Aber
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ſen, all’ mein’ Schritt’ und Tritt’ mit der Sophie alſo, als waͤr ſie eine Delila, der’s um meine Haarlocken zu thun waͤr.
Dieſer Jrrthum haftet ſo veſt in der Leut’ Koͤpfen, daß die Stimme der lau- tern Wahrheit nichts dagegen vermag. Die Sophie hat ihre Geſchicht’ hundertmal wiederholt, iederzeit mit der Freymuͤthig- keit, mit dem offnen zuverlaͤßigen Geſicht, das in iedem Zug das Bewußtſeyn des guten Gewiſſens ausdruͤckt. O Sophie, Sophie! wenn dein Geſicht truͤgen ſollt, ſo ſtuͤnd’s wahrlich ſchlecht um Phyſiogno- mik! Als ich neulich dem phyſiognomiſchen Club eine Collation gab, produzirt’ ich das Schattenprofil der Sophie nebſt mei- ner Auslegung, und wie dieſe als unwi- derſprechlich richtig agnoſcirt wurde, auch das Original. Waren die Herren ganz verblaͤfft bey dieſem lieblichen Anblick, und laſen noch ſo viel herrliches aus der Sophie ihrem Geſicht, und guckten ihr dabey ſo tief in die Angen, daß ich der Beſcheidenheit des lieben Kindes zu ſcho- nen, ſie gar behend gute Nacht nehmen ließ.
Aber
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ſen, all’ mein’ Schritt’ und Tritt’ mit der
Sophie alſo, als waͤr ſie eine Delila, der’s
um meine Haarlocken zu thun waͤr.
Dieſer Jrrthum haftet ſo veſt in der
Leut’ Koͤpfen, daß die Stimme der lau-
tern Wahrheit nichts dagegen vermag.
Die Sophie hat ihre Geſchicht’ hundertmal
wiederholt, iederzeit mit der Freymuͤthig-
keit, mit dem offnen zuverlaͤßigen Geſicht,
das in iedem Zug das Bewußtſeyn des
guten Gewiſſens ausdruͤckt. O Sophie,
Sophie! wenn dein Geſicht truͤgen ſollt,
ſo ſtuͤnd’s wahrlich ſchlecht um Phyſiogno-
mik! Als ich neulich dem phyſiognomiſchen
Club eine Collation gab, produzirt’ ich
das Schattenprofil der Sophie nebſt mei-
ner Auslegung, und wie dieſe als unwi-
derſprechlich richtig agnoſcirt wurde, auch
das Original. Waren die Herren ganz
verblaͤfft bey dieſem lieblichen Anblick,
und laſen noch ſo viel herrliches aus der
Sophie ihrem Geſicht, und guckten ihr
dabey ſo tief in die Angen, daß ich der
Beſcheidenheit des lieben Kindes zu ſcho-
nen, ſie gar behend gute Nacht nehmen
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/137>, abgerufen am 16.02.2025.
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