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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.

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beym alten, das gehört Ehrenhalber für den
Wirth. Da ist ein Gefrag' nach ihr, ab-
sonderlich von den Damen, ein Geflüster,
wenn sie herein tritt in das Zimmer, ein
Angaffen, ein Ausforschen, ein Mienen-
spiel. Da giebts Blicke, so zweydeutig,
so seitenschielerlich, höhnende Schmeiche-
leyen, verbissenes Gelächter. Da stößt
auf das liebe Mädchen, wie auf ein Hühn-
chen, das sich auf einen fremden Hof ver-
flogen hat, alles was einen Schnabel hat,
Huhn und Hahn; auch der rothnäßige
Puterhahn dreht sich stolz um sie her,
schlägt ein Rad, und giebt ihr unversehens
einen Tritt mit unter, den sie fühlt.

Das gute Kind steht da, so bescheiden,
in so liebenswürdiger Verlegenheit, wagts
nicht die Kornblumfarbenen Augen aufzu-
heben, und den gierigen Falkenblick der An-
gaffer zu ertragen. Eine sanfte Schaam-
röthe färbt ihre Wangen, die der Unwille
über die feinen Jmpertinenzen, welche sich
strenge Aspasien so gern erlauben, wenn
ihnen ihre Phantasie was Laismäßiges vor-
gaukelt, allgemach glühend röthet, daß sie
der Kühlung einer drüber hinschlüpfenden
Zähre bedürfen, die auf solchen, wie auf

einem
J

beym alten, das gehoͤrt Ehrenhalber fuͤr den
Wirth. Da iſt ein Gefrag’ nach ihr, ab-
ſonderlich von den Damen, ein Gefluͤſter,
wenn ſie herein tritt in das Zimmer, ein
Angaffen, ein Ausforſchen, ein Mienen-
ſpiel. Da giebts Blicke, ſo zweydeutig,
ſo ſeitenſchielerlich, hoͤhnende Schmeiche-
leyen, verbiſſenes Gelaͤchter. Da ſtoͤßt
auf das liebe Maͤdchen, wie auf ein Huͤhn-
chen, das ſich auf einen fremden Hof ver-
flogen hat, alles was einen Schnabel hat,
Huhn und Hahn; auch der rothnaͤßige
Puterhahn dreht ſich ſtolz um ſie her,
ſchlaͤgt ein Rad, und giebt ihr unverſehens
einen Tritt mit unter, den ſie fuͤhlt.

Das gute Kind ſteht da, ſo beſcheiden,
in ſo liebenswuͤrdiger Verlegenheit, wagts
nicht die Kornblumfarbenen Augen aufzu-
heben, und den gierigen Falkenblick der An-
gaffer zu ertragen. Eine ſanfte Schaam-
roͤthe faͤrbt ihre Wangen, die der Unwille
uͤber die feinen Jmpertinenzen, welche ſich
ſtrenge Aſpaſien ſo gern erlauben, wenn
ihnen ihre Phantaſie was Laismaͤßiges vor-
gaukelt, allgemach gluͤhend roͤthet, daß ſie
der Kuͤhlung einer druͤber hinſchluͤpfenden
Zaͤhre beduͤrfen, die auf ſolchen, wie auf

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[129/0135] beym alten, das gehoͤrt Ehrenhalber fuͤr den Wirth. Da iſt ein Gefrag’ nach ihr, ab- ſonderlich von den Damen, ein Gefluͤſter, wenn ſie herein tritt in das Zimmer, ein Angaffen, ein Ausforſchen, ein Mienen- ſpiel. Da giebts Blicke, ſo zweydeutig, ſo ſeitenſchielerlich, hoͤhnende Schmeiche- leyen, verbiſſenes Gelaͤchter. Da ſtoͤßt auf das liebe Maͤdchen, wie auf ein Huͤhn- chen, das ſich auf einen fremden Hof ver- flogen hat, alles was einen Schnabel hat, Huhn und Hahn; auch der rothnaͤßige Puterhahn dreht ſich ſtolz um ſie her, ſchlaͤgt ein Rad, und giebt ihr unverſehens einen Tritt mit unter, den ſie fuͤhlt. Das gute Kind ſteht da, ſo beſcheiden, in ſo liebenswuͤrdiger Verlegenheit, wagts nicht die Kornblumfarbenen Augen aufzu- heben, und den gierigen Falkenblick der An- gaffer zu ertragen. Eine ſanfte Schaam- roͤthe faͤrbt ihre Wangen, die der Unwille uͤber die feinen Jmpertinenzen, welche ſich ſtrenge Aſpaſien ſo gern erlauben, wenn ihnen ihre Phantaſie was Laismaͤßiges vor- gaukelt, allgemach gluͤhend roͤthet, daß ſie der Kuͤhlung einer druͤber hinſchluͤpfenden Zaͤhre beduͤrfen, die auf ſolchen, wie auf einem J

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/135>, abgerufen am 24.11.2024.