deutlicher wird mir's, daß eine zwiefache Ursach hievon obhanden sey.
Einmal sind die Theologen unsrer Kirch auch Menschen wie wir andern, fühlen al- so eben den Drang in ihrer Seel' wie die Layen, sich aus der Dunkelheit empor zu streben, große Lichter am Kirchenhimmel zu werden und den Anstaunern sich durch das zehnschuhige Sehrohr der Verherrlichung als Stern' erster Größe zu präsentiren. Dürft' nun keiner aus der vorgezeichneten Bahn schreiten, so stünden sie von dem Au- ge des Beschauers all' in gleichem Abstand' ihr Glanz flöß zusammen wie der Schimmer der Milchstraße, und keiner könnt am theo- logischen Horizont wie der Sirius leuchten. Daher das Ringen, Streben, Lauffen nach Keckheit, Neuheit und Sonderlichkeit in der Lehr', im Vortrag, in der Ausdeu- tung des Glaubens, der geglaubet wird; daher der Schnack von Schwärmerey, To- leranz, Aberglauben und Predigerwesen, der so viel Lungen in Othen, so viel Finger der Schreiber in Bewegung und so viel Dru- ckerpressen in Nahrung sezt, daher endlich das ewige Zimmern, Mauren, Tünchen, Pinseln und Verzieren des ganzen kirchlichen
Gebäu-
H
deutlicher wird mir’s, daß eine zwiefache Urſach hievon obhanden ſey.
Einmal ſind die Theologen unſrer Kirch auch Menſchen wie wir andern, fuͤhlen al- ſo eben den Drang in ihrer Seel’ wie die Layen, ſich aus der Dunkelheit empor zu ſtreben, große Lichter am Kirchenhimmel zu werden und den Anſtaunern ſich durch das zehnſchuhige Sehrohr der Verherrlichung als Stern’ erſter Groͤße zu praͤſentiren. Duͤrft’ nun keiner aus der vorgezeichneten Bahn ſchreiten, ſo ſtuͤnden ſie von dem Au- ge des Beſchauers all’ in gleichem Abſtand’ ihr Glanz floͤß zuſammen wie der Schimmer der Milchſtraße, und keiner koͤnnt am theo- logiſchen Horizont wie der Sirius leuchten. Daher das Ringen, Streben, Lauffen nach Keckheit, Neuheit und Sonderlichkeit in der Lehr’, im Vortrag, in der Ausdeu- tung des Glaubens, der geglaubet wird; daher der Schnack von Schwaͤrmerey, To- leranz, Aberglauben und Predigerweſen, der ſo viel Lungen in Othen, ſo viel Finger der Schreiber in Bewegung und ſo viel Dru- ckerpreſſen in Nahrung ſezt, daher endlich das ewige Zimmern, Mauren, Tuͤnchen, Pinſeln und Verzieren des ganzen kirchlichen
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deutlicher wird mir’s, daß eine zwiefache
Urſach hievon obhanden ſey.
Einmal ſind die Theologen unſrer Kirch
auch Menſchen wie wir andern, fuͤhlen al-
ſo eben den Drang in ihrer Seel’ wie die
Layen, ſich aus der Dunkelheit empor zu
ſtreben, große Lichter am Kirchenhimmel
zu werden und den Anſtaunern ſich durch
das zehnſchuhige Sehrohr der Verherrlichung
als Stern’ erſter Groͤße zu praͤſentiren.
Duͤrft’ nun keiner aus der vorgezeichneten
Bahn ſchreiten, ſo ſtuͤnden ſie von dem Au-
ge des Beſchauers all’ in gleichem Abſtand’
ihr Glanz floͤß zuſammen wie der Schimmer
der Milchſtraße, und keiner koͤnnt am theo-
logiſchen Horizont wie der Sirius leuchten.
Daher das Ringen, Streben, Lauffen
nach Keckheit, Neuheit und Sonderlichkeit
in der Lehr’, im Vortrag, in der Ausdeu-
tung des Glaubens, der geglaubet wird;
daher der Schnack von Schwaͤrmerey, To-
leranz, Aberglauben und Predigerweſen,
der ſo viel Lungen in Othen, ſo viel Finger
der Schreiber in Bewegung und ſo viel Dru-
ckerpreſſen in Nahrung ſezt, daher endlich
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Pinſeln und Verzieren des ganzen kirchlichen
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/119>, abgerufen am 16.02.2025.
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